TERROR

Vor der Bombe

Ian McEwans »Saturday« beschreibt die bedrohte Stadt in uns allen

Er kann schreiben, gar keine Frage. Und er kann sich, selbst wenn alles im gehetzten Präsens erzählt wird, so geschickt bedenkend und rückblendend ins Wort fallen, dass in dem Roman eines einzigen Tages eine ganze Welt Platz hat. Jedenfalls die westliche.
Ian McEwan beschreibt den 15. Februar 2003 in London, den Tag, an dem die größte Demonstration des Empire stattfand. Ganz England, so schien es damals, war dagegen, zusammen mit den Amerikanern in den Irak einzufallen. Nur McEwans Hauptfigur, ein glücklicher Gehirnchirurg mit Frau und Kindern, findet den Aufruhr störend. Er hat einen Unfall auf dem Weg zum Wochenend-Squash, ein Kleinganove verhaut ihn ... so dringt die Gewalt in das sichere Leben des Wohlsituierten ein.
Und darum geht es McEwan und seinem in vielen Interviews als Alter Ego entlarvten "Helden" Henry Perowne (darf man den Namen lax als "an sich" übersetzen?). Wie geht ein saturierter Bürger mit der Ahnung vom Abgrund um? Wie schafft er es, weiter ein liberales Leben zu führen, ohne auf die Fundamentalopposition (egal ob Strassenschläger oder Terroristen) seinerseits mit Fundamentalismus zu reagieren?
Hätte der Irak-Krieg nicht stattgefunden, wäre Saturday ein besseres Buch. McEwans Hymnen etwa auf die Annehmlichkeiten einer freien Gesellschaft (von der Dusche bis zum folgenlosen Streit mit rebellischen Kindern) wirken als akteueller Zeit-Roman eher geschwätzig. Nach der echten Tat (wir überfallen ein Ekel mit ekligen Rechtfertigungen) wirkt die erfundene Tat (jemand bedroht ganz unideologisch unsere Existenz) seltsam hinter den Zug gesprungen. Und nach der anderen echten Tat (den Londoner U-Bahn-Anschlägen) fällt auf, dass McEwan eben keinen aktuellen Gesellschaftsroman geschrieben hat, sondern ein Kunst-Buch über ein Individuum, das es so danach nicht mehr geben kann.
WING
Ian McEwan: Saturday. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, Zürich 2005, 310 S., 19,90 ISBN: 3257064942