ESSEN GEHN

Sättigung, südlich

Ratgeber-Bücher: Speiselokale in Italien und auf Mallorca

Wenn wir in die Welt fahren, wünschen wir uns Orientierung. Diese Orientierung kann in gelben Doppelbögen auf rotem Grund bestehen, in großen Schildern, auf denen mit deutschem Essen, deutschem Bier und deutschem Filterkaffee geworben wird. Aber dafür kann man auch daheim bleiben. Wenn wir in die Welt fahren, möchten wir besser als zuhause essen, und vor allem anderes. Zu diesem Zwecke wurden Restaurantführer erfunden, die übrigens nicht nur auswärts hilfreich sind, und mit verschiedenen Symbolen dem potentiellen Gast sagen sollen, wo das Einkehren lohnenswert ist.
Zum Beispiel Italien: Wo Michelin Sterne und gekreuzte Bestecke vergibt, muß man beim Veronelli Kochmützen und Flaschen zählen, und wenn neben dem Namen des Lokals eine stilisierte Sonne zu finden ist, hat dieses die höchsten Veronelli-Weihen, die in der aktuellen 13. Ausgabe gerade 45 von insgesamt 1752 Restaurants zugestanden werden. Ein gutes Zeichen. Da wir allerdings nicht eins der 45 aus eigenem Erleben kennen, müssen wir auf andere Hinweise zur Glaubwürdigkeit zurückgreifen. Wenn zum Beispiel beim sonnengekrönten "Contea di Neive" lobend erwähnt wird, daß es hier Grappe "meines verehrten Grappa-Herstellers Romano Levi" gibt, ist das zwar nett, aber in Insider-Kreisen gelten die raren und fast unbezahlbaren Destillate des kauzigen Piemontesers als "Benzino-Bum-Bum", Levi-Grappe sind Mythos und Legende, aber ernsthaft ausgeschenkt werden sie zumindest im Piemont nicht. Andererseits fanden wir die Wertungen der uns bekannten Restaurants fair und - was eher noch wichtiger ist - die Angaben, Preise, Sitzplätze, Spezialitäten und Telefonnummern betreffend, zutreffend. Wieder andererseits: Harrys Bar in Venedig, wo es dem Vernehmen nach den schlechtesten Gin-Tonic diesseits des Kanals geben soll, ist als eins von "Veronellis Lieblingsrestaurant" mit einem Herzchen ausgezeichnet.
Für den Veronelli sind nicht näher bezeichnete Inspektoren unterwegs, die in jedem erwähnten Restaurant "mindestens zweimal im Jahr gut gegessen haben", ähnlich wird es auch beim "Michelin" und beim "Gault Millau" geregelt, die mit jeweils etwa 750 Seiten deutlich handlicher sind als der Veronelli mit seinen kompakten Klinker-Dimensionen. Dünner und ganz ohne professionelle Tester kommt der Marcellino daher. Nach 14 deutschen Regional-Ausgaben gilt jetzt auch im Ausland "Gäste sagen, wie es wirklich ist". Naja, im Ausland... der erste exterritoriale Marcellino befaßt sich mit den Restaurants auf Mallorca. Und wir müssen zugeben, daß diese Proll-Variante eines Restaurantführers wirklich nützlich ist. Die Wertungen geben zumindest einen groben Anhaltspunkt, was den Gast erwartet, Preisrahmen und Telefonnummern sind korrekt, und die eingestreuten Promi-Statements bewahren sensible Reisende vor unverhofften Begegnungen mit Jürgen Drews, Marcel Reif, Rolf Eden oder Thomas Koschwitz. Gelungen fanden wir den Service-Teil mit Wochenmarkt-Terminen und kleinem Küchenlexikon. Klar, daß ein Restaurantführer, der sich damit brüstet, daß Laien die Wertungen abgeben, nicht wirklich verläßlich sein kann, aber immerhin scheinen in der aktuellen 2. Auflage gewisse Unregelmäßigkeiten durch allzu geschäftstüchtige "Lokalredakteure" vermieden worden zu sein.
Der Marcellino ist handlich und übersichtlich und leider gar nicht haltbar. Nach zwei Wochen normalem Gebrauch löst er sich auf wie ein zu lange gekochtes Huhn (vielleicht lag's auch am Klima). Der Veronelli ist auch in dieser Beziehung deutlich solider: ein richtiges Buch, sogar mit Fadenheftung, was in diesem Falle auch Sinn macht. Schließlich gehören Restaurantführer ins Handgepäck resp. Handschuhfach. Gastronomische Orientierungshilfen im Bücherregal nützen gar nichts.
Jens Steinbrenner
Veronelli - Restaurants in Italien. 13. Ausgabe. 1146 S. mit Kartenteil. 46,- DM
Marcellinos Restaurant-Report Mallorca. 2. Ausgabe. 200 S., 19,80 DM, beide Heyne, München 1997