PULP FACTION

Eckensteher

Andreas Eschbach macht uns den Dickens

Das Experiment ist gescheitert - aber immer noch interessant. Vor 3 Jahren bat Frank Schirrmacher, Literaturchef der FAZ, einen von Feuilletons bis dahin Verfehmten, Andreas Eschbach, um einen Fortsetzungsroman. Wöchentlich, in der Real-Zeit spielend, und womöglich mit Bezügen auf die aktuelle und wissenschaftliche Berichterstattung der Frankfurter Sonntagszeitung. Eschbach (sein Quest fanden Schirrmacher und wir gut, sein Jesus-Video kam später ins Fernsehen) wagte, was seit Charles Dickens niemand mehr schaffte, und spann ein Garn aus kurzen Häppchen, das sich zuverlässig zu den Episodenenden stark verzwirbelte, und keine Ecke im Plot ausließ:
Ein Koma-Patient erwacht mit Gedächtnisverlust; er hält sich für einen Außerirdischen auf geheimer Mission, nur welcher? (K-Pax war da noch nicht im Kino); ein zweiter Außeridischer jagt ihn; eine Neurologen-Connection erklärt alles zum Wahngebilde; verschwörerische Radio-Astronomen fälschen eine Ausserirdischenbedrohung, um die Erde wach zu rütteln; unser Held war mal Mitglied der Verschwörung und so weiter ...
Das ist inhaltlich ziemlich gut über dem Kiosk-Schund und stilistisch gar nicht mal so schlimm wie Konsalik selig. Die Absichten sind nur zu loben, die Realitätsbruchstücke waren wichtig wie dieses: 2002 krachte wirklich ein Asteroid in doppelter Mondentfernung an der Erde vorbei - und nur in Eschbachs Roman wurde sofort überlegt, wieviel Angst einem das machen sollte. Die Wissenschaftsjournaille fing erst Monate später damit an.
Nach 42 Folgen wurde der Roman mangels Leser-Resonanz zwangsgestoppt. Eschbach schrieb ein aufschlußreiches Making Of dazu (mit der Erklärung einer Szene, die gar nicht im Buch steht, seltsam seltsam), und jetzt haben wir die Protokolle einer abgesetzten SF-Soap zum Nachlesen.
Kein Kunstwerk, aber ein Stück Gegenwarts-mmh-doch-ja: Literatur.
WING
Andreas Eschbach: Exponentialdrift. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2003, 268 S., 6,90 ISBN: 3404149122