DDR Aus dem Wind Wendekind Sabine Rennefanz erklärt, warum sie keine Mörderin wurde Könnte die Autorin Segeln, hätte sie die Zeit nach dem Mauerfall vermutlich eher "Halse" als "Wende" genannt. Schließlich drehte sich die Schülerin, kurz vor dem Abitur immerhin auf einem Förderinternat in Eisenhüttenstadt, anschließend erstmal mit flatterndem Tuch heckwärts durch den neuen Wind. Ließ sich sogar von einer evangelikalen Freikirche fangen, ging als Missionarin nach Russland und schreibt jetzt ein Buch, um zu erklären, dass die NSU-Mörder wohl nicht eine Folge der bösen DDR waren. In Eisenkinder: Die stille Wut der Wendegeneration gibt es zunächst ein Doppelporträt der Ex-Vorzeigestadt der DDR. Jugenderinnerungen der Autorin kreuzen sich mit einer heutigen Stadtführung, bei der Wessis die echte DDR besichtigen wollen und sie jetzt erkennt, dass damals schon alles Kulisse war. Ohne Euphorie erlebt sie den Mauerfall, keiner hat ihr je erklärt, wer sie von was befreit hat, nicht mal Tom Hanks' Besuch in Eisenhüttenstadt löst Jubel aus. Über das Private hinaus interessant ist die Beobachtung, dass damals nur eines von 14 Jugendzentren erhalten blieb, und dort die westlichen Sozialarbeiter den Hitlergruß grölender Neonazis still duldeten. Man ging trotzdem hin, bestenfalls stilistisch etwas abgeschreckt, denn wo sollte man sonst hin? Die Autorin zog zum Studieren in den Westen und geriet an die Evangelikalen. Aber das ist eine andere Geschichte. Sabine Rennefanz führt sich in ihren Erinnerungen derart als genasführtes Opfer auf, dass sie kaum noch als verführtes Mitglied der Generation Orientierungslos gelten kann. Die Flucht zu den Autoritäten? Mag sein. Die Sehnsucht, ein früher jedenfalls dem Namen nach bedeutungsvolles Leben im Dienst des Sozialismus nun in einem anderen Steinbruch weiter zu führen? Mag auch sein. Aber wiedergeborener Christ werden? Da muss noch was anderes schief gegangen sein. Immerhin fällt in die religiöse Phase die lustigste Passage. Beim Frauengebetskreis fragt sich eine, ob die Bibel den Blowjob verbiete. Nach Blättern im Hohen Lied einigen sich jungen Frauen, solange der Garten verschlossen bleibe, sei alles gut. Andere hätten sie auch fangen können, befürchtet Rennefanz, vielleicht sogar Neonazis. Nur ihre Abneigung gegenüber Gewalt habe sie wohl gerettet. Umgekehrt will sie durch ihre Lebensgeschichte, die an einigen Stellen parallelisiert, wo etwa Uwe Mundlos gerade ins Jugendzentrum ging, nicht entschuldigen, dass Wendekinder Mörder wurden. Nicht mal erklären. Aber dass die Wessis, die noch nie im Osten gewesen sind, alles Übel auf Damals schieben, sei einfach falsch. Wing
Sabine Rennefanz: Eisenkinder: Die stille Wut der Wendegeneration. Luchterhand, München 2013, 256 S, 16,99
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