HIPSTER
Hyperdrive-Zen
Dave Eggers brilliert mit der Storysammlung »Wie hungrig wir doch sind«
Wenn einer mit viel Mühe 30 und gleich mit seinem autobiographischen Erstlingswerk US-Independent-Dichterfürst geworden ist, dann sollte ihm der deutsche Verlag doch einen Übersetzer spendieren, der aus dem Original-Titel seiner neuen Storysammlung "How We Are Hungry" nicht so ein gespreiztes Seufzen macht. Dave Eggers nämlich ist, abgesehen von seinem Hang zu barocker Titelei (das Debüt hieß: "Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität"), in erster Linie schnell. Manchmal ist eine Geschichte in "Wie wir hungrig sind" schon nach eine Seite fertig, manchmal führt ein Satz vom präzisen Erlebnis über die Erinnerung in größere Rätsel. "Das letzte Pferd, auf dem ich gesessen hatte, hatte mich ständig gebissen. Dieses hier stieß bloß den Kopf rhythmisch der Zukunft entgegen." Der Ich-Erzähler darauf hält sich mühsam im Sattel, während ihn ein Fremdenführer immer tiefer in die Wüste lockt.
Genauer wird's nicht. Denn Dave Eggers ist lieber schnell als irgendwo. Die Protagonisten seiner Erzählungen, junge Frauen, alte Männer oder auch einmal ein wilder Hund, sind fast alle unentwegt unterwegs, aber ein Ziel haben sie nicht. Und selbst im Bett finden sie keine Ruhe. "Während meine Finger durch Erins Haarsträhnen krochen, zog die Helligkeit draußen meinen Blick aus dem Zimmer". Es ist der Mond. "Er lächelte, er beäugte mich mit unerwünschter Klugheit und begann zu sprechen." Und eine andere Geschichte ist aus.
Eggers ist wie Kerouac ohne Himmel hinter dem Berg. Aber er ist auch überhaupt nicht hektisch. Beschleunigungslos "sind" seine Figuren zwischen allen Orten, nirgendwo und überall, ein bisschen unsicher aber auch ganz unverzweifelt. Existentielle Krisen können da nicht vorkommen. Ob ein Bruder nach sieben vermurksten Selbstmordversuchen in der Klinik liegt oder ein Familienvater sich etwas unwohl fühlt, weil ein Soldat seines Landes in einem anderen Land vom Mob auf der Strasse verstümmelt wird ... es geht immer weiter. Eggers macht eine Art Hyperdrive-Zen. So gesehen ist die schwächste Story des Bandes, die anderswo bloß ein Schülerzeitungs-Witz wäre, die erhellendste: "Gewisse Sachen sollte er für sich behalten" besteht aus 4 weißen Seiten.
WING
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