Digitalsatire

Der Campus

»Der Circle« will eine böse Satire über die schöne neue Digitalwelt sein

Dave Eggers ist ein richtig guter Mensch. Er engagiert sich für Unterprivilegierte, leitet Schreibkurse, hat einen kleinen Verlag, der unbekannte Autoren veröffentlicht, und wird seit "Das Hologramm des Königs" als einer der wichtigsten US-Autoren der Gegenwart gehandelt. Früher wollte er auch mal der neue Norman Mailer werden und schrieb 2009 einen Tatsachenroman über einen US-Syrer, der während des Hurrikanes "Katrina" in New Orleans Heldenhaftes leistete und dem er mit dem Buch "Zeitoun" ein Denkmal setzte. Später wurde Mr. Zeitoun leider als prügelnder Ehemann enttarnt, überstand eine Anklage wegen versuchten Mordes und sitzt gerade wieder im Gefängnis, weil er gegen seine Bewährungsauflagen verstieß. Dave Eggers redet nicht mehr so viel über "Zeitoun".

Sein neues Werk Der Circle ist eine Science-Fiction-Groteske und schon deshalb originell; im Moment erscheinen einfach wenig SF-Grotesken. "Der Circle" ist eine Softwarefirma, der es gelungen ist, die Anonymität im Netz abzuschaffen. Zusammen mit einigen Zusatzprogrammen hat "Der Circle" damit die Marktführerschaft bei Suchmaschinen, Bezahlsystemen und sozialen Netzwerken übernommen. Es ist, als ob Google, Facebook und PayPal fusioniert hätten.

Geleitet von einem Triumvirat (genannt "Die drei Weisen"), entwickelt sich "Der Circle" zunehmend zu einer Sekte: Wenn jeder erst alles über jeden weiß, wird endlich alles gut. Auf dem Campus der Firma wird den Mitarbeitern ein Paradies geboten (Freizeiteinrichtungen, kostenlose Wohnungen, Shops, Fitnesscenter), das nicht zu nutzen von der ansonsten enervierend freundlichen Firmenleitung energisch hinterfragt wird. Warum kaufst du dein Biogemüse woanders, wenn es in unseren Shops billiger und besser ist?, fragt das Kontrollgremium. Und: Natürlich sind all die Feiern und Feste nach Feierabend freiwillig, aber warum warst du die letzten zweimal nicht da? Magst du deine Kollegen nicht? - so wird Mae gefragt, das genretypische Naivchen, das Eggers durch diese Mischung aus Scientology und Google jagt und das am Ende (an Vorbildern herrscht bei Eggers kein Mangel) den Großen Bruder lieben und dafür ihren Geliebten verraten wird - schablonenhaft abgezeichnet bei George Orwell, dessen andere Erfolgssatire Farm der Tiere von Eggers ebenfalls geplündert wird.

Wenn es darum geht, Settings zu entwerfen, ist Eggers durchaus beeindruckend. Der freundliche, ausufernde Firmen-Campus, die nächtliche Seenlandschaft, zu der Mae immer wieder aufbricht, um allein zu sein, das große Aquarium am Ende der Geschichte - all dies ist handwerklich fein beschrieben und gut gesehen. Aber es ist eben immer auf Metapher für etwas, was uns Eggers sagen will und das als Geschichte einfach nicht funktioniert, weil die innere Glaubwürdigkeit ebenso fehlt wie eine Figurenzeichnung. Die Heldin ist eine Frau ohne Eigenschaften. Warum sie als einzige von 10.000 Angestellten Probleme mit der Circle-Politik des Gläsernen Menschen hat, ist ebenso unverständlich wie ihre leuchtende Hingabe am Ende, die sie in die Führungszirkel aufsteigen lässt.

Aber das Schlimmste ist, dass Eggers, der uns eindeutig vor der vollkommenen Überwachung im digitalen Staat warnen will, zu faul war, eine halbwegs originelle Gegenposition auszuformulieren, eine glaubwürdige und notwendige Rebellion, die unser aller Unbehagen mit der neumodischen Mode repräsentieren würde, jedes Gefühl und private Erlebnis öffentlich als "like" oder "dislike" katalogisieren zu müssen und für jede private Regung sofort einer Supportgroup beitreten zu wollen.

Obwohl "Der Circle" am Ende die USA uneingeschränkt beherrscht, erfahren wir nur von einer Gegenposition, einem einzigen Aufstand, durchgeführt und formuliert von Maes Ex-Freund. Der schreibt ihr: "Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass unser Verstand möglicherweise auf das Gleichgewicht zwischen Bekanntem und dem Unbekannten justiert ist? Dass unsere Seelen die Geheimnisse der Nacht und die Klarheit des Tages brauchen? Ihr schafft eine Welt mit ständigem Tageslicht, und ich glaube, es wird uns alle bei lebendigem Leib verbrennen. Es wird keine Zeit mehr geben zum Nachdenken, zum Schlafen, zum Abkühlen."

Sowohl in der Formulierung als in der Haltung sollte einem Romancier nach 500 Seiten mehr einfallen als anzumerken, unser Verstand sei auf ein "Gleichgewicht zwischen Bekanntem und Unbekannten" justiert; was zudem Quatsch ist. Der Circle ist ein Lesebuch für Anfänger-Schreibseminare, wo man dahinter kommen möchte, was uns der Autor eigentlich sagen wollte. Als Roman ist es flach, langweilig und bisweilen peinlich. Wer etwa die Wucht der Satiren von John Brunner oder Norman Spinrad kennt, kann sich über diesen müden, wichtigtuerischen Text nur wundern.

Thomas Friedrich

Dave Eggers: Der Circle. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 560 S., 22,99