ALTENGLAND

Unter London

Terry Pratchett taucht in die Kanalisation

Dies ist nicht Ankh-Morpork, obwohl das viktorianische London durchaus der Hauptstadt der Scheibenwelt ähnelt, auf der die meisten von Pratchetts Bücher spielen. Das hier aber nicht, auch wenn der Titelerfinder Dunkle Halunken sich werblich irreführend an seine früheren Einfälle wie Steife Prise oder Helle Barden anlehnt. Im Original heißt der Roman einfach Dodger und möchte in der Klasse von Oliver Twist mitspielen.

Pratchett erzählt von Dodger, einem Straßenjungen, der sich in der Gosse der rasant wachsenden Großstadt London so durchschlägt. Genauer: In der Kanalisation, die noch aus der Römerzeit stammte, längst nicht mehr mit den Abwässern fertig wurde, aber eine Fundgrube war für verlorene Pennies, Schmuckstücke und sonstige Wohlstandsreste. Eine ganze Bevölkerungsschicht lebte, meist nicht lange, vom Müllpicken im Untergrund und hätte Dodger nicht eines regnerischen Abends ein Mädchen vor Straßenschlägern gerettet ... nun, so fingen 100 Jahre lang Jugendbücher an, seit Charles Dickens die Unterseite der Gesellschaft als Spielort für Romane entdeckte. Hier tritt er selbst auf, findet Gefallen an dem frechen Helden und stubbst Dodger leicht in eine Aufwärtsentwicklung, die ihn am Ende bis zur einer Audienz bei der Königin führen wird. Auf dem Weg dahin kommen wir in fast ganz London herum, treffen historisches Personal (etwa den mörderischen Barbier Sweeney Todd und den aktenstudierenden Karl Marx) und streifen altersweise Gedanken. Etwa den, dass die Wahrheit ein Nebel ist, dem jeder die Form gibt, die ihm passt, und dass Schurken von der andern Straßenseite aus manchmal wie Helden aussehen.

An solchen Stellen erhebt sich Dunkle Halunken über den normal-witzigen Pratchett-Roman, verstört aber auch die Scheibenwelt-Fans. Gut gemacht.

Wing

Terry Pratchett: Dunkle Halunken. Aus dem Englischen von Andreas Brandhorst. Piper, München 2013, 384 S., 19,99 / Ebook 15,99