Damals

Neue Töne

Zwei Bücher über den kulturellen Wandel der 1970er und 1980er Jahre in West-Deutschland

1997 ist David Bowie auf Promotour für sein neues Album Earthling. Dazu gehört auch, dass er sich auf die Promi-Couch von Wetten, dass...!? setzen muss. Thomas Gottschalk und er reden ein bisschen über das neue Album, und Bowie erklärt, dass er sich immer für neue Tanzmusik interessiert habe (auf Earthling ist das Drum'n'Bass - zu dem Zeitpunkt schon ein alter Hut), Mitte der 1970er ist das Philly-Soul, den er auf Young Americans verarbeitet, und in seiner Berlin-Phase ist er fasziniert von den elektronischen Bands aus Deutschland: Neu!, Harmonia, La Düsseldorf, Kraftwerk. Als er merkt, dass das Publikum nicht so recht weiß, wovon der Weltstar da spricht, auch nicht, als er zum zweiten Mal ungläubig "Anyone know Neu!?" fragt (und sich nur einer erbarmt, den Arm zu heben), muss er kurz auflachen. Man merkt für einen Moment, dass Bowie irritiert ist, auch weil Tommy versucht, das Publikum zu retten, indem er mehrmals nach Kraftwerk fragt, die ja wohl wirklich jeder kennen muss.

Tatsächlich verändert sich ab Anfang der 1970er eine Menge in der Musiklandschaft der Bundesrepublik. Vor allem in Düsseldorf eröffnen sich neue Soundwelten, neue Songstrukturen, ganz neue Beats werden erschaffen, und die haben Auswirkungen bis in die Hochburgen der Popmusik, Großbritannien und die USA.

Da sind natürlich Kraftwerk, die mit ihrer vertonten Fahrt auf der Autobahn ("Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn" als das deutsche Fun, Fun, Fun der Beach Boys) auch den amerikanischen Markt knacken; deren Konzerte in Großbritannien von einer Riege milchgesichtiger Frickel-Freaks verfolgt werden, die noch am gleichen Abend ihre Gitarren aus dem Fenster werfen und sich Synthesizer zulegen oder selber bauen und damit die New Wave und die New Romantic der kommenden Jahre kreieren.

Aber es sind eben nicht nur Kraftwerk, die Einfluss haben. Neu! (das sind Michael Rother und Klaus Dinger) veröffentlichen drei Alben, die maßgeblich für einen neuen Beat (Motorik) stehen, der von einer gnadenlos durchgespielten Bassdrum getragen wird, Klaus Dinger ist ein Meister dieses Beats, der den elektronischen Beat des Techno vorwegnimmt, obwohl er kein guter oder gelernter Schlagzeuger ist. Dass Rother und Dinger mal bei Kraftwerk waren, Dinger später mit seinem Bruder Thomas La Düsseldorf gründet, dass Rother mit Harmonia und Brian Eno Musik gemacht hat, dass die aufkommende Punk-Generation in Düsseldorf sich einiges bei den älteren "Brüdern" abguckt, um Elektronik noch mal ganz neu zu definieren (der schwitzige Elektro-Sex von D.A.F. oder auch den Krupps im Gegensatz zum sexlosen Beamten-Techno von Kraftwerk, ja ja, sie sind nun mal die Roboter), das erfährt man alles in Electri_City - Elektronische Musik aus Düsseldorf von Rüdiger Esch.

In Interviewcollagen, so wie es Jürgen Teipel in Verschwende deine Jugend bzw. Legs McNeil mit Please kill me vorgemacht hat, entwirft er die detailreiche Geschichte einer Stadt und ihres Sounds, der leider nicht mehr so präsent ist, wie er es verdient hätte.

Dass der Zeitraum von 1970 bis ungefähr 1986 (mit diesem Jahr endet das Buch) eine interessante Zwischenzeit ist, eine Zeit zwischen dem Ende der Studentenbewegung und dem sich anbahnenden Zusammenbruch des Ostblocks, zeigen auch die Bilder von Isolde Ohlbaum, die in Von Ali bis Zappa versammelt sind und im ungefähr gleichen Zeitraum entstanden. Man schaut sich diese Bilder in Schwarz-Weiß an und verschwindet in einer anderen Welt. Wir sehen in wunderbar einfachen Bildern Liv Ullmann, wie sie sich die Haare nach hinten streicht, Uschi Obermaier, Klaus Kinski, Horst Tappert am Sandsack während der Aufnahmen zu Derrick, O.W. Fischer, Uschi Glas vor ihrer Boutique für Kinder und Robert Lemke, der Anneliese Fleyenschmidt unter den Rock greift, um ihr mit einem Mikrokabel zu helfen - Protagonisten einer vergangenen Zeit, an die man sich noch dunkel erinnert, aber man kann die Gesichter und Namen nicht mehr richtig zuordnen: "War die nicht Schauspielerin? War der nicht Politiker?"

Man muss sich seine eigenen Geschichten zusammenreimen, darf sich überlegen, was Anneliese Rothenberger und Erich Kästner wohl so geredet haben, nachdem Isolde Ohlbaum sie zusammen fotografiert hat. Kann überlegen, wer sexyer ist: Hanna Schygulla bei den Dreharbeiten zu Lili Marleen oder ein seinen Bauch präsentierender Rainer Werner Fassbinder. Es ist eine zunehmend verschwommene, faszinierende Welt, die diese fantastischen Bilder da in einem erwecken und, gar nicht so unwichtig: die einen erahnen lassen, wie modern, treibend und ungewöhnlich die Düsseldorfer Elektroniker in der gleichen Zeit geklungen haben müssen.

Auch Bowie ist dabei, fotografiert während eines Auftritts 1976 in der Münchener Olympiahalle. Ein Jahr, bevor er nach Berlin geht, um von den Drogen loszukommen und dabei zwei seiner besten Alben aufnimmt, beeinflusst von diesen seltsamen Düsseldorfern, die das Wetten, dass...!?-Publikum in Münster 1997 leider nicht kennt.

Sacha Brohm

Rüdiger Esch: Electri_City - Elektronische Musik aus Düsseldorf. Suhrkamp, Berlin 2014, 463 S., 14,99 / Isolde Ohlbaum: Von Ali bis Zappa. Fotografien. Wunderhorn, Heidelberg 2014, 167 S., 29,80