KIDS
Eiskalte Engel
Party und Drogen - Nick McDonnels »Zwölf« beobachtet die 17jährigen
In drei Tagen ist Party, die große Silvester-Sause bei Chris, dessen Eltern nicht da sind. Im Verlauf des Romans Zwölf werden fast alle Protagonisten auf Umwegen zu dieser Party eingeladen, auf der es unerhört Drogen und Sex geben soll. Fast alle der Kids sind zwar noch sexuell jungfräulich, aber alle nehmen von allen an, dass sie schon wilde Erfahrungen gesammelt haben.
Solche Partys werden von "White Mike" beliefert, dem 17jährigen Drogendealer des Viertels. Mike ist der einzige, der nie trinkt, keine Drogen nimmt und keine Freundin haben will. Im langen wehenden Mantel geht er wie ein freundlicher, aber desinteressierter Todesengel durch die Geschichte. Als ihn jemand auch auf "diese Wahnsinns-Party" einladen will und ihn fragt, ob er schon mal auf so einer Party gewesen sei, denkt Mike: Wenn du wüßtest! Ich bin diese Party!
Drei Tage vor dieser Party setzt der Roman ein, beschreibt in kurzen Kapiteln die Helden - und was sie anhaben. Minutiös werden Marken und Tops genannt, aber dann biegt der Roman sozusagen um die nächste Straßenecke, wo ein abgerissener alter Loser namens Sven sitzt, Schach spielt und erzählt, wie er mal auf einem Walfangboot in Japan gearbeitet hat und dass die Strände in Japan manchmal pechschwarz sind. Und der Junge in seiner Markenkleidung, dem Sven das erzählt, sitzt teilnahmslos daneben, und wir wissen: er wird in seinem Leben nicht annähernd ähnlich Aufregendes erleben: "Eigentlich hat niemand was zu tun, in der ganzen Stadt hat niemand was zu tun, deshalb tun alle dasselbe und reden über Popkultur und die Trickfilme aus ihrer Kindheit und alle wollen bumsen und cool sein und alle wollen sportlich sein und alle wollen und wollen und wollen."
Die Party wird ein Flop, die aufgestaute Leere in den Köpfen schlägt ganz fürchterlich zurück. Und nur der Dealer Lionel wird Sex haben, er darf Jessica bumsen, die ihre Jungfräulichkeit opfert für ein Tütchen der Droge "Zwölf", jener Droge, die so irre gut abgeht und von der niemand weiß, was eigentlich drin ist.
Nick McDonell soll diesen Roman mit 17 Jahren geschrieben haben. Zwölf wäre schon beachtlich, wenn er ihn mit 25 geschrieben hätte. Denn neben dem handwerklich sehr gut gebauten Gerüst des Romans überrascht vor allem die Figur "White Mike" (in der McDonell sich selbst portraitiert) mit ihrer traurigen Ernsthaftigkeit. Als im Philosophieunterricht es um Weltreligionen geht, hält Mike eine zynische Rede über Religion, die in dem Satz gipfelt: Wenn man hinkniet zum Beten tut man nichts anderes, als Gott einen zu blasen. "Raus, Mike", sagt der Lehrer und zeigt auf die Tür. "Mach dass du rauskommst."
Thomas Friedrich
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