LEBENSKRISEN

Erwischt!

Ein Manager kriegt die Krise

Der Held des Romans sitzt am Zürcher See, läßt sich nassregnen und stellt fest, dass er mit 35 fast tot ist. Das Leben bietet keine Herausforderungen mehr, Ehe und Freundschaften sind zu Zweckgemeinschaften verkommen, und im Job wird man auch nicht mehr angerempelt, weil man mit 35 einfach zu den "alten Hasen" gehört, die wissen, wie's läuft.
Zu dieser Idee sind dem Autor in seiner Novelle Fünfunddreißig ein paar nette Beobachtungen und Formulierungen eingefallen: "Er hat seinen Platz gefunden - nicht erkämpft, nicht einmal verdient, sondern eraltert - und sich darin eingenistet." Oder heftiger: "Haß, böser, brennender Haß auf bestimmte Personen oder Umstände, Haß bis zur Weißglut, Haß mit dem Ziel der totalen Vernichtung - das alles ist mit 35 verröchelt. Haß ist jetzt Verbitterung und Ekel. Haß als Groll. Man stellt fest: diese seit Jahren andauernde Lächerlichkeit."
Als Apercu-Sammlung für Männer in der Krise ist das hübsch zu lesen. Aber obwohl der Autor über seinen Held Gehrer sagt, dass es für seine Mittelmäßigkeit keine Geschichte gäbe, in die er hineinpaßt, schreibt er ihm doch eine: von seinem Konzern zur Fortbildung nach Harvard geschickt, fliegt Gehrer nach Indien (!), wirft dort sein Laptop in den Ganges und fängt an zu denken - was halt so Wirtschaftslenker tun, wenn sie feststellen, dass sie nicht mehr über jeden Zaun und auf jede Blondine kommen. Dobellis Sätze ("Warum finden nur Dinge statt, die es schon gibt?"), durchaus manchmal von trauriger Tiefe, werden durch diese Selbstfindungsstory arg banalisiert.
Dobelli war Finanzchef eines Großkonzerns, bevor er Autor wurde. Es ist auffällig, dass überproportional viel Literatur über die plötzlich erkannte Sinnlosigkeit des Lebens von ehemaligen Managern geschrieben wird; es könnte daran liegen, dass das, was sie tun, wirklich sinnlos ist.
Thomas Friedrich
Rolf Dobelli: Fünfunddreißig. Eine Midlife Story Diogenes, Zürich 2003, 204 S., 16,90 ISBN: 3257860994