SEX & VERSTAND

Im Bett mit Madonna

Philippe Djian will Henry Miller werden

In dem Roman Schwarze Tage, weiße Nächte werden eine Menge Papierhandtücher verbraucht. Der Ich-Erzähler Francis hat es mit vielen willigen Damen zu tun, die ihm ihr nasses Geschlecht entgegenhalten, wonach sein Gesicht halt manchmal aussieht "wie mit Tapenkleister beschmiert". Es gilt edle Lederkissen wieder sauberzuwischen, Küchenhocker, samenbekleckerte Haare und -verschmierte Münder - alle Beteiligten sind meistens geil, besinnungslos naß, tropfende und spritzende Wesen von grenzenloser Geilheit - so sind die Gesetze der Pornografie, in der alles Sexuelle in der Maßlosigkeit versinken muß.
Wieviel Spaß das machen kann, hatte man seit Henry Miller beinahe vergessen, und Djian gibt sich alle Mühe, ein würdiger Nachfolger zu sein. Seine Sexszenen sind rüde, sinnlich, witzig.
Francis, ein erfolgloser Schriftsteller, lebt mehr schlecht als recht vom Verkauf diverser jugenderhaltener Vitamin- und Algenpräparate, die er in seinem Freundeskreis, alle wie er um die 40 und älter, zu überhöhten Preisen verkauft. Seine Frau Edith schlägt im vor, einen Porno zu drehen, ausgerechnet mit Nicole Vandhoeren, der eher prüde wirkenden Gattin von Patrick. Patrick ist ein erfolgreicher Schriftsteller und Francis' Freund.
Fortan entwickelt sich eine große Intrige um Patrick, der einen neuen Verlag sucht und Millionen-Angebote von beinahe unanständiger Höhe erhält. Francis soll, im Auftrag des alten Verlegers, Patrick im Auge behalten und einen Wechsel verhindern. Während er heimlich Nicole vögelt.
Die scheinbar unsinnliche Nicole entpuppt sich schnell als unersättliche Sexpartnerin. Francis und Nicole treiben es täglich bunter, überall, hemmungslos. Der Standard-Sex weicht bald raffinierten Fesselungsspielen; wenn Nicole geht, muß Francis seinen geschundenen Schwanz manchmal in einer Schüssel mit Eiswürfeln abkühlen.
Patrick verliebt sich derweil in Madonna (jaja, die echte). In einer der vielen seltsam ironischen Szenen des Buches trifft Francis Madonna, die, nur mit einem durchsichtigen Slip bekleidet, auf einem Hotelbalkon steht, eine Zigarette raucht und erklärt, dass es keinen Unterschied mache, ob man einen oder tausend Schwänze gelutscht habe ... warum die echte Madonna schließlich die falsche ist, warum man sich Männer als Möbelstück mit vielen Schubladen vorstellen muß und warum die Literaturagentin immer so lange auf dem Klo bleibt - Djian fallen eine Menge drolliger Wendungen ein, um seinen Text auch jenseits des Pornografischen am Leben zu halten.
Das bemerkenswerte an Djian ist nicht nur, dass er konsequent die Regeln des pornografischen Romans einhält - alles muß immer wilder und unübersichtlicher werden, und es muß im Elend enden - sondern wie er das macht: Francis verliert vor unseren Augen den Verstand, indem der Roman, den er uns vorlegt, immer unsinniger, unverständlicher wird. Das Klischee "Zu viel Sex macht blöd" wird nicht inhaltlich beschreibend, sondern formal ironisiert: am Ende versteht man weder Francis' Verfolgungswahn noch seine Motive, geschweige denn die der anderen Akteure.
Es ist unterhaltend, zu beobachten, wie ein Roman seinem eigenen Untergang entgegengeht. Und nebenbei hat Djian eine hübsch unanständige Phantasie, die zu Szenen und Sätzen von ungewohnter Deftigkeit führt. Als Francis und Patrick in Toronto sind, lassen sie sich drei junge und quirrlige japanische Huren aufs Zimmer kommen, um eine Orgie zu feiern. Zunächst sind die drei Mädchen nur miteinander beschäftigt, bis Patrick und Francis schließlich zum Zuge kommen: "Mit Hilfe einer guten Dosis Ahornsirup fickten wir sie alle drei in den Arsch. Sie waren entzückt." - so lakonisch machte das nur Henry Miller.
Dass Djian eine Menge Schuld bei Martin Amis' Mediensatire Information abzutragen hat, ist keine Schande. Und wird im Buch angedeutet. Es dürfte lustig sein, beide Romane parallel zu lesen.
Thomas Friedrich
Philippe Djian: Schwarze Tage, weiße Nächte. Aus dem Französischen von Uli Wittmann. Diogenes, Zürich 2002, 420 S., 21,90 EU
Martin Amis: Information. Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Fischer TB 14048, Frankfurt 1998, 576 S., 18,90 DM