GEWALT IM SPIEL

Excellent kill!

Wie irreal ist das Töten auf dem Bildschirm?

Wenn in den letzten Jahren Schüler Amok liefen, fand sich in ihrem Nachlaß oft eine Ansammlung von Baller-Spielen, Ego-Shooter meist, in denen es mehr als rabiat zugeht: aus der Ich-Perspektive betrachtet der Spieler ein düsteres Labyrinth, in dem verabscheuungswürdige Feinde lauern, die man wegballern muß.
Bedeuten diese Funde was? - "Neiiin!", schreit die Gamer-Szene, "purer Zufall! Millionen von friedliebenden Computer-Spielern beweisen, dass solche Spiele nichts mit realer Gewalt zu tun haben!" - Auf der anderen Seite ist bis jetzt noch kein Amok-Läufer aufgetaucht, bei dem man eine Sammlung von Disney-Zeichentrickvideos oder Spiele wie "Sim City" gefunden hat.
Irgendwas Gewaltinspirierendes könnte also dran sein an diesen Spielen, in denen Fleischklumpen über den Bildschirm fliegen, virtuelles Blut aus den Köpfen spritzt und man neuerdings Gegner auch ganz gezielt nach einem "Körpertreffer"-System fertig machen kann: Jetzt schieß ich dir in die Schulter, dann ins Bein, in die Brust, in den Kopf... sowas kann nicht gesund sein.
Rainer Fromm hat sein Buch Digital spielen - real morden? vor den Erfurt-Ereignissen fertiggestellt, was kein Nachteil ist. Denn die inszenierte Erregung geht an diesem Buch völlig vorbei. Fromm stellt die wichtigsten Ego-Shooter vor (von Doom über Duke Nukem bis Soldier of Fortune), spricht mit Medien-Pädagogen, der Bundesprüfstellen-Chefin, mit Gamern, Spieleentwicklern. Natürlich hat jeder was anderes zu erzählen und fast jeder eine andere Meinung. Dass aber Computer-Spiele Mörder machen, glaubt niemand. Eher geht es darum, dass der ständige Kontakt mit folgenloser Gewalt schwer auf die Empathie schlagen kann: Wer dauernd virtuell metztelt, büßt auf Dauer Mitleid für reale Opfer ein. Auch der Aspekt des Trainings ist nicht zu unterschätzen. Dass die Kiddie-Amok-Läufer überragende Schützen waren, hat auch damit zu tun, dass sie am PC trainieren konnten.
Sehr ausführlich geht Fromm auf die LAN-Szene ein, also auf Treffen von Fans, die in großen Hallen per vernetztem Rechner gegeneinander antreten. Die gewaltlose Unaufgeregtheit dieser LAN-Parties beeindruckt Fromm ebenso wie die Aussage aller Spieler, sie würden die grafischen Splatter-Effekte meistens runterschalten, weil sie das Spiel nur langsamer machten.
Die Debatte wird weitergehen, auch weil die Spiele-Industrie meist unredlich argumentiert. Über 90 Prozent aller veröffentlichten Spiele seien keine Gewalt-Spiele oder Ego-Shooter, hat sie kürzlich behauptet. Das mag wahr sein. Ebenso wahr ist, dass der Handel nach eigener Auskunft knapp 30 Prozent seiner Umsätze mit genau diesen Gewalt-Spielen macht.
Die Nagelprobe auf die Ehrlichkeit der Industrie wäre leicht zu machen: Man schreibe ein Spiel, in dem der Gamer durch die Räume eines Bürokomplexes schleicht und alle führenden Spieledesigner, Programmierer, Manager und Pressefuzzis der Industrie antrifft und aus den Stiefeln ballern darf - ich knall dir die Rübe weg, schieß deine halbnackte Sekretärin in Stücke, schlitz dem Assitant Manager langsam die Kehle auf, und wenn ich dem Ober-Programmierer den zweiten Kopfschuß verpasse, sagt eine anonyme Stimme bewundernd "Excellent kill!" ... - geschmacklos? Nun, genau so geht's in diesen Shootern zu, aber: Hey, it's just a game!
Alex Coutts
Rainer Fromm: Digital spielen - real morden? Shooter, Clans und Fragger. Computerspiele in der Jugendszene. Schüren, Marburg 2002, 174 S., 12,80 EU ISBN: 3894721766