SCIENCE FICTION
Schöne neue Welt Philip K. Dick steht immer noch auf dem falschen Sockel »Von jeher hat man Paranoia als Geisteskrankheit eingestuft. Aber das ist sie nicht! Es besteht kein Mangel an Kontakt mit der Realität - im Gegenteil, der Paranoiker steht in direktem Bezug zur Realität. Er sieht die Dinge, wie sie wirklich sind; er ist praktisch der einzig gesunde Mensch« (Dick: »Null-0«) Seine Paranoia war beinahe klassisch: ein großes Auge am Himmel verfolgte den SF-Autor Philip K. Dick, wenn der einen schlechten Tag hatte. Wenn er einen guten Tag hatte, konnte er darüber schreiben, und die SF-Stories, die dabei entstanden, lesen sich manchmal wie Kafka auf Speed. Später fühlte Dick sich auch vom FBI verfolgt, knallte sich mit Drogen zu, und am Ende bezog er seine Weisheit direkt von einer göttlichen Quelle (der Roman darüber ist einer der unverständlichsten der gesamten SF). Wenn Dick Albträume beschrieb, passierten sie meist dem "kleinen Mann", dessen Existenz dadurch schwer aus der Bahn geworfen wird: Man wacht morgens auf in einer Welt, in der religiöse Spinner oder Zahnpflegefanatiker die Weltherrschaft übernommen haben. Oder eines Tages steht das eigene Einfamilienhaus mitten zwischen den Fronten eines Krieges, den man nicht kennt und nicht versteht. Und man wird hier nie wieder rauskommen. Eine Geschichte geht so: auf der Erde jagt ein Anti-Mutanten-Korps jede biologische Abweichung. Wer 8 Brüste hat, Flügel oder Gedankenlesen kann, wird gefangen, eingesperrt und - wörtlich! - euthanasiert. Diese Geschichte "Der goldene Mann" erzählt von einem stummen, goldhäutigen Wesen, das gejagt wird. Das Wesen hat kein Hirn, keine Sprache, keine Erinnerung. Aber es sieht die Zukunft. Mühelos entkommt es seinen Häschern, die am Ende resigniert feststellen, dass damit wohl das Ende des homo sapiens begonnen hat. "Der goldene Mann" liest sich wie eine Kritik am beschränkten menschlichen Geist, alles, was er nicht versteht, vernichten zu wollen. Dick selbst aber hat zu der Geschichte gesagt, ihm sei es auf die Nerven gegangen, wie in der SF alle glaubten, Mutanten seien gut und würden die Menschheit in eine bessere Zukunft führen. Wenn er das höre, wie der Überlegene den Schwachen "führen" solle, falle ihm gleich Auschwitz ein. Man kann vermuten: Dick war als Autor besser denn als Denker. "Der goldene Mann" ist immer noch eine gute Geschichte und sagt etwas anderes, als Dick eigentlich sagen wollte. Die Person Dick hingegen steht in der Tradition amerikanischer Anarchisten: reaktionär, dickköpfig, staatsfeindlich. In der Geschichte "Zwischen den Stühlen" gerät die Hauptfigur in Schwierigkeiten, weil sie sich nicht für eine von zwei Parteien entscheiden kann. Als eine gewinnt und ihre Terror-Herrschaft beginnt - jeder, der nach Schweiß riecht, wird eingesperrt - leistet der Held selbstverständlich Widerstand. - man muß keine Meinung zu den Dingen haben, aber man darf sich nichts aufzwingen lassen. Die beste Passage der Geschichte ist die, in der Dick uns erläutert, dass es keinesfalls absurd sei, sich wegen weißer Zähne und Körpergeruch den Schädel einzuschlagen; jedenfalls nicht absurder als die anderen Gründe, die Menschen brauchen, um einander zu ermorden. In "Kriegsveteran" geht es um eine vorgetäuschte Zeitreise, um ein Massenmorden zwischen Erdbewohnern, grünhäutigen Mars-Kolonisten und ebenfalls andersartigen menschlichen Venus-Kolonisten zu verhindern. Am Ende sagt einer: ich hoffe, wir werden eines Tages auf Aliens stoßen ... "und ich meine wirklich andere Rassen. Dann werden die Leute begreifen, dass wir alle vom selben Stamm sind". US-Anarchisten werden wir wohl nie verstehen. Vielleicht auch deshalb, weil sie paranoid sind. Philip K. Dick, immerhin, hat daraus seine besten Geschichten gemacht. Alex Coutts
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Philip K. Dick: Das Vater-Ding Sämtliche Erzählungen Bd. 5. Aus dem Amerikanischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. Haffmans, Zürich 2000, 304 S., 36,- DM Philip K. Dick: Foster, du bist tot Sämtliche Erzählungen Bd. 6. Aus dem Amerikanischen von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. Haffmans, Zürich 2001, 316 S., 36,- DM |