LEERE WELT
Auszeit mit Platon In Alan Lightmans »Die Diagnose« übernehmen sich zwei Der erste ist der Held, Bill Chalmers, den es eines morgens auf dem Weg zur Arbeit einfach aus der Welt haut. Drumrum pumpt und brodelt die Alltags-Maschine weiter, Handys bimmeln, Taxis hupen, Persönliche-Informations-Manager machen vorwurfsvolle Geräusche ... aber Bill kann sich an keinerlei Sinne und Zwecke erinnern. Bill Chalmers hat sich an unserer modernen Welt verhoben, und den Rest des Buches wird er den Knacks nicht los. Der Autor Alan Lightman hat sich an seiner Zentralfigur verhoben und findet nie mehr zur rasanten Tragikomödie des Anfangs zurück. Ein Mann "liest" zum Zeitsparen beim U-Bahn-Fahren "Die Brücken von Madison County" (eine gaaanz langsame Story), Bills Frau hat lange Chat-Flirts, sein Sohn macht einen Platon-Online-Kurs an der Fern-Uni, und der plötzlich amnesische Effizienz-Analytiker wird vom letzten Zug bis vor die Stadt gefahren. Da funktionieren Beobachtungen, Metaphern, Witze und altmodische Weisheit noch: die Moderne entfremdet den Menschen. Dummerweise bleibt uns auch Bill Chalmers fremd, der nach dem ersten Amnesie-Schock Frau und Firma zwar wiedererkennt, aber nun eine langsam fortschreitende Lähmung kriegt. Offensichtlich als Stellvertreter-Leiden an der leeren Welt, in der es nur noch um Karrieren, Kostenersparnis und Klatsch geht. Und dann der Platon-Kurs. Für den hat Lightman einen kompletten Sokrates-Dialog erfunden, in dem sich die "realen" Konstellationen vielfältig verzerrt spiegeln sollen. Leider merkt man das zu deutlich, und leider funktioniert es nicht. Am Ende stirbt Sokrates bekanntlich an langsam fortschreitender Lähmung und Bill erlischt im Rollstuhl, während der Regen plätschert. So kommt man von Kafka bloß zu Kitsch. WING
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Alan Lightman: Die Diagnose. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt. Droemer Knaur, München 2002, 366 S., 20,50 EU |