GESETZE

Gott übt noch

Das Buch Genesis und die Erfindung der Rechtsprechung

Als oberster Richter war Gott, der HErr, anfangs eine ziemliche Niete. Zuerst verbietet er Adam, vom Baum der Erkenntnis zu naschen ("Tot umfallen sollst du!"), und dann drückt er Eva, mit der er gar nicht über den Baum geredet hat, zur Strafe die Last der Geburt aufs Auge, für alle Zeiten, während Adam einfach nur lebenslänglich arbeiten muß. Auch beim nächsten Vergehen, dem Mord an Abel, stellt sich der HErr etwas seltsam an: Kain soll fortan "unstet und ruhelos" durchs Land ziehen, sein Blut darf allerdings nicht vergossen werden; später bringt's Kain sogar noch zum Städtegründer. Dafür ist Gott anschließend ziemlich maßlos: weil ihn seine eigene Schöpfung immer mehr anwidert, schickt er eine Sintflut, die wahllos Gerechte und Ungerechte wegputzt. Das tut ihm allerdings schnell leid, mit Noah schließt er den "Bund", in dem er ausdrücklich formuliert, dass der Mensch von Grund auf zwar nicht gut sei, er, der HErr aber deshalb nie wieder eine Sintflut schicken werde. Nebenbei verkündet er noch schnell die Todesstrafe ("Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschenhand vergossen werden") und gibt den Menschen die Tiere zur grenzenlosen Verfügung frei.
Die Genesis ist die Geschichte eines lehrenden und lernenden Gottes, sagt der Rechtsanwalt Alan M. Dershowitz in seinem Buch Die Entstehung von Recht und Gesetz aus Mord und Totschlag. Gott übt noch und läßt sich sogar von Abraham belehren, der dem wieder mal wütenden HErrn mühsam abhandelt, Sodom und Gomorrha zu verschonen, sollten sich 10 Gerechte finden. Dem gleichen Abraham mutet Gott später zu, seinen Sohn Isaac zu opfern. Und wie kindisch und übel Gott Hiob mitspielte, ist auch eine eher traurige Geschichte.
Dershowitz betrachtet die Bücher Genesis und Exodus als fortschreitende Rechtsgeschichte. Gott ist nicht allwissend, eher unsicher und widersprüchlich, was seine Rechtsauffassung betrifft. Anhand einzelner Fälle untersucht Dershowitz nicht nur die Entwicklung des jüdischen Gottes, er durchleuchtet auch die dahinter liegende Idee von Gerechtigkeit. Um das zu illustrieren, zitiert er kreuz und quer aus der jüdischen Literatur, zieht auch die gegenwärtige Rechtsprechung zum Vergleich heran - und kommt selten zu einem eindeutigen Ergebnis. Die Interpretationsfreiheit, die Dershowitz' Buch gewährt, verschafft das größte Vergnügen beim Lesen dieser witzig und intelligent verfaßten Aufsätze. Gott und die Gerechtigkeit sind eben nicht eindeutig, gemeinsam mit seinem Volk entwickelt der HErr seine Grundsätze, die erst in den 10 Geboten eindeutig formuliert werden. Dass anschließend sein geliebtes Volk massig und ungestraft auch gegen diese Gebote verstößt - das ist eine andere Geschichte.
Erich Sauer
Alan M. Dershowitz: Die Entstehung von Recht und Gesetz aus Mord und Totschlag. Aus dem Amerikanischen von Ilse Utz. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002, 265 S., 24,- EU