RETRO-FICTION
Ein Kontinent verschwindet 1912 geht Europa perdu Es gibt keinen I. Weltkrieg und es gibt auch kein London: Von Island bis Afrika, Israel bis Moskau sind Menschen und Städte verschwunden. Wo früher der Kölner Dom stand, breitet sich jetzt Urwald aus. Allerdings: Flora und Fauna sind vollkommen fremdartig, tödlich - einfach falsch. Erstaunt stehen die Amerikaner vor dem Phänomen, dass sich ein Teil des Planeten aus der Geschichte verabschiedet hat. Und als man erste Expeditionen nach "Darwinia" schickt (wie Europa fortan spöttisch genannt wird), macht man eine erstaunliche Entdeckung: Es gibt Fossilien fremder Kreaturen, Millionen von Jahren alt ... Als hübsches Rätsel beginnt Darwinia des Kanadiers Robert Charles Wilson, der sich gerne mit Themen wie Zeitsprüngen und Unsterblichkeit befaßt. Wilsons Blick auf die Welt hat manchmal etwas von der Paranoia eines Philip K. Dick. "Darwinia" ist eine Herausforderung für Wissenschaftler und Theologen. Die einen sehen darin Gottes unergründliches Werk, die anderen sagen: Zugegeben, es sieht unerklärlich aus - aber was sagt uns das? Die USA machen sich daran, die "Neue Welt" zu unterwerfen, führen deshalb Krieg mit Japan - es ändert sich nicht viel in der Politik. Die eigentliche Geschichte aber handelt von Guilford Law, der als Photograph 1920 an einer Expedition nach "Darwinia" teilnimmt, dafür Frau und Kind verläßt, und in den unendlichen Wäldern südlich des Bodensees eine furchtbare Entdeckung macht: Die Galaxie, zu der unser Sonnensystem gehört, ist schon vor Milionen Jahren in einem Schwarzen Loch untergegangen. Während die erste Hälfte von Darwinia bewußt im Stil der Reiseliteratur verfaßt ist, verlegt sich der zweite Teil auf Action und Tragödie. Das ist nicht schlecht geschrieben, aber Wilson hat sein Rätsel zu früh aufgelöst und verschenkt damit Spannungsmomente. Trotzdem ist Darwinia, als Mischung aus Parallelwelt-Roman, Physik-SF und Reisebericht sehr amüsant zu lesen. Alex Coutts
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Robert Charles Wilson: Darwinia. Aus dem Englischen von Hendrik P. und Marianne Linckens. Heyne SF Nr. 6412, München 2002, 398 S., 9,95 EU |