DARIO FO

Bomben aufs Bordell

Ein Literatur-Nobelpreisträger fabuliert aus seiner Jugend

Man darf dem Clown nicht alles glauben, aber alles, was er erfindet, ist wahr. Dario Fo, parteiloser Alt-Linker in Italien, viel gespielter Autor engagierter Burlesken in aller Welt, kam 1997 zum Literatur-Nobelpreis wie seine Mutter mit ihm nieder. So zwischen Schienenbus und Güterzug, weil der Vater ein paar Tage zuvor Bahnhofsvorsteher einer winzigen Station am Ufer des Lago Maggiore geworden war. Die Haltestelle war so unbedeutend, dass die Lokführer regelmässig das Anhalten vergassen. Einmal zog ein Reisender die Notbremse, der Zug rutschte quietschend in den nächsten Tunnel, der Folgezug krachte hinein, aber niemand wurde verletzt, bis auf den Reisenden. Um so was zu verhindern, bekam San Giano einen Bahnhofsvorsteher und Dario Fo die Eröffnungs-Episode seiner Jugend-Erinnerungen: Meine ersten sieben Jahre und ein paar dazu.
In denen wimmelt es von solchen bunten Einfällen, die das alte Theaterpferd uns zuweilen als Lektionen des Lebens vorstellt, die den Jungen früh über die Dörfer und ans Stehgreif-Erzählen und die pralle Sinnlichkeit der Bauern heran führen. Sogar aus dem Schwimmen-Lernen macht Fo eine Fabel über den harmonischen Umgang eines Schauspielers mit seinem Körper: vermeide das Gezappel.
Dann kommen die Faschisten, dann kommt der Krieg. Die ländliche Idylle fällt in Trümmer, Fo wird freiwilliger Flak-Helfer, um nicht als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschickt zu werden. Und am Wochenende hilft er Kriegsgefangenen bei der Flucht in die Schweiz. Oder amüsiert die Truppe mit humorigen Geschichten aus harter Zeit: wie einmal in Venetien ein voll besetztes Bordell bombardiert wurde und die Dörfler Freudenmädchen und Freier, darunter viele verhasste Deutsche, aus dem Schutt gruben. Und wie sich alle danach küssend in den Armen lagen.
Fo behandelt weit mehr als die sieben Jahre des Titels, er endet mit der Beerdigung seines Vaters 1987, die sich zufällig mit dem großen Leichenzug eines berühmten Dichters aus dem Nachbarort kreuzte. Dessen Trauergäste liefen dann hinter dem Sarg von Fos Vater her, aus Versehen oder weil der die bessere Kapelle hatte, und die die lustigeren Lieder spielte ("Bella Ciao" natürlich). "Warum rennt ihr so?" fragten die neuen Trauernden ausser Atem. "Hier wird ein Eisenbahner beerdigt" sagten die schwitzenden Gewerkschaftler, "und wenigstens einmal will er pünktlich sein."
WING
Dario Fo: Meine ersten sieben Jahre und ein paar dazu. Aus dem Italienischen von Peter O. Chotjewitz. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 240 S., 17,90 ISBN: 3462033654