REDEN
Die Fremde im Zug Eine Frau erzählt einem Mann ihr Leben Eine Frau und ein Mann sitzen im Zug, unterwegs von New York nach Los Angeles. Sie kommen ins Gespräch - ganz unverfänglich. Dann fragt der Mann die Frau nach ihrem Namen - "Mein Name. Ich war - hm, also - ich war Oscar Lourde". Die Frau behauptet, die letzten fünf Jahre ihres Lebens als Mann gelebt zu haben. Der Mann hakt nach, will wissen, was sie zum Rollenwechsel getrieben hat. Zögernd und unwillig beginnt sie mit der Geschichte ihres Lebens: Sie erzählt von dem Kaff, in dem sie aufgewachsen ist, von ihrem Vater, der erfolglose Theaterstücke schrieb und seine Familie kaum ernähren konnte. Von der willensstarken Mutter und den Geschwistern. Die erzählte Vergangenheit der Frau im Zug beginnt an dem Tag, als sie mit ihrem Bruder im Bett landete, nachdem sie einem Rassisten die Genitalien zerschossen hat. Auf den Mann wirkt alles sehr verwirrend und unglaubwürdig. Er will die ganze Geschichte hören, bis zum Jetzt - in der vagen Hoffnung, so herauszufinden, wer er selbst ist. So erzählt sie weiter, von einer Explosion, die ihre halbe Familie tötete und ihrer Heirat mit einem gewalttätigen Arschloch. Und erwähnt ein großes Schicksal, das ihr von der Mutter prophezeit wurde. Sie erzählt ihre Geschichte lebendig, emotional aber auch abgebrüht - und immer nur bis zu einem gewissen Punkt. Dann bricht sie ab und will nichts mehr sagen. Der Fremde schafft es immer wieder, sie zum Weitererzählen zu überreden. Sie versucht zu rekonstruieren, wann sie anfing, sich die Brust zu bandagieren und schließlich ganz aufgab, das Leben einer Frau zu führen. Bei ihren Erzählung verliert die Frau nie die Kontrolle, scheint immer die Oberhand zu behalten - auch als sich die beiden körperlich näher kommen. Und so führen sie das Spiel fünf Tage und fünf Nächte fort. Quer durch Amerika: Redend, kopulierend und auf der Suche nach Wahrheit ... Die Geschichte der Frau, die Oscar Lourde war, wird von Janice Deaner fesselnd erzählt und ist in ihrer ganzen Tragik und Absurdität komisch. Bis zum Kapitel fünfundzwanzig. Von da an hat man das Gefühl, die Autorin verläuft sich im Gestrüpp ihrer Geschichte. Holprig und zwanghaft läuft alles auf eine Schicksalsfrage zu, bis plötzlich eine erschreckende Wahrheit aufgedeckt wird, die Erklärung für alles sein soll. Die Leselust wird dadurch vernichtet. Am Ende stellt sich dann die Frage: Warum konnte die Autorin nicht hundert Seiten früher aufhören - mit dem Mut zu einer unbeantworteten Frage. Kathleen Wächter
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Janice Deaner: Fünf Tage, fünf Nächte Deutsch von Adelheid Zöfel. Rowohlt, Reinbek 1999, 437 S., 24.00 DM |