SCIENCE FICTION
Zurück aus der Zukunft
John Shirley & William Gibson: Die Eltern der Matrix kehren zurück
William Gibson ist der Vater des Cyberpunk, das steht inzwischen sogar in den langsameren Literaturlexika - und John Shirley ist seine Mutter. Das steht im Vorwort zur Wiederveröffentlichung eines frühen Shirley-Romans. Genauer: Bill Gibson nennt ihn dort Patient X, den ersten Überträger der Virus, der vor 20 Jahren die Welt veränderte. Bis dann später das Internet und die Chicken McNuggets alles wieder ins Lot brachten.
1980: Stadt geht los. Ein Punk-Gitarrist schreibt ein Buch über seine Stadt (Cisco), seine Musik (Patti Smith tritt als Vorbild auf), den Zustand der Unordnung (Videoüberwachung, Bürgerwehren) und was die Stadt selbst dagegen tut. Nämlich als ihre eigene Verkörperung abends in den Club gehen, mit schwarzem Ledermantel und einer verspiegelten Brille, deren Gläser fest ins Jochbein eingewachsen sind. Der Geist der Stadt, ihr Wesenskern, steht auf und räumt auf. Ferngesteuerte Fahrstühle ersticken böse Behördenchefs, Abrissbirnen krachen in Mafia-Hauptquartiere, Kanaldeckel verschlucken die faschistische Privatpolizei ... und der gute, gewalttätige Rock'n'Roller-Geist der Stadt weht durch die Kopfhörer im Plattenstudio, wo sie noch mit Tonbändern arbeiten.
Bill Gibson kriegte von Shirley den Schreib-Kick, den Strom und die Spiegelbrille. Der Cyberspace kam aus den Automatenspiel-Hallen dazu, die Personage aus Samurai-Filmen ... und ein Stil, der mit jedem Buch knapper und besser wurde. Futurematic ist das letzte der zweiten Trilogie (Neuromancer war der Beginn der Ersten) und führt die Überlebenden aus 1 und 2 in Erwartung des informationsgesellschaftlichen Weltuntergangs zusammen. Winzige Szenen in Pommesbuden und Pappkarton-Ghettos, Netzcafés, Morde, Medienstudenten ... und jede Menge modische Sonnenbrillen. Es liest sich wie die SmartCard-Version von Hemingway-Today; ein Gegenwartsroman, der sich ganz sicher ist, dass etwas übermächtig Grosses auf uns zukommt ... und dann am nächsten Morgen die Tische wischt und einfach weitermacht.
Anders Shirley. Der schrieb nach langer Pause nun Es werde Licht. Da treiben sich im schwer zerdötschten Amerika allerlei Tribes herum: Bürgerwehren, Rächerinnen, Stadtillu-Reporter, Partisanen, Punks, FBI, CIA, Außerirdische .... Genau: alles begann nämlich, als Chris Carter am Set der 8. Staffel von "Akte X" verhaftet wurde und nie wieder auftauchte.
Shirley strickt alte und neue Verschwöwungstheorien im Dutzend ein, und aus der zentralen ein Erlösungsbild: Jesus Cristus war ein abtrünniger Alien, Roosevelt hat's gewusst und mit den fiesen Grauen paktiert, und wenn jetzt nicht bald der Heilige Geist kommt, fliegt auch noch der letzte Rest des partikularisierten Landes auseinander. Der PR-Berater der E.T.-Invasion und ein knuffiges Klon-Monster verhindern das. Bzw. sorgen dafür, incl. großer Bewusstseinserweiterung ... irgendwie riecht das nach 7Ts - aber auf der Höhe der Jetztzeit.
WING
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