LIEBE & GUMMIPUPPEN @head 2spaltig = Im Winter an den Nordpol

Giuseppe Culicchias Lebens-Satire

Irgendwann lernt der Held Walter, Angestellter eines Zeitungskiosk mit angeschlossener Videothek, eine Deutsche kennen, die täglich bei ihm die FAZ und die "Süddeutsche" kauft. Tatjana ist groß, vollbusig, rothaarig, Vegetarierin und läuft zu Hause am liebsten nackt herum, was Walter einige Probleme bereitet, weil er dabei eine gewaltige Erektion zu verstecken hat. Aber auch da weiß Tatjana eine Lösung und führt ihn lächelnd ins Schlafzimmer. Denn Deutsche, sagt sie einmal an anderer Stelle, finden sich überall zurecht.
Später ist Walter nicht mehr Angestellter, sondern Geschäftsführer einer Videothek mit angeschlossenem Kiosk, Tatjana ist abgereist nach Finnland, wo man sie als Deutschlehrerin braucht, und Walter bestellt sich eine lebensgroße, mit Menschenhaar dekorierte Gummipuppe, deren nachgebildete Vagina sogar eine Art Klitoris hat; das ist der Fortschritt.
Einmal, im Winter, wollte Walter Tatjana in Finnland besuchen. Er fährt mit dem Zug durch die saubere Schweiz, durch Deutschland (wo ihm ein Haufen besoffenere Hooligans einen Hammer in die Hand drückt und ihn auffordert, ihnen beim Demolieren des Zugabteils zu helfen), nach Stockholm, wo ein kalter Wind ihn fast von der Straße bläst, schließlich nach Oulu, wo die schon wieder nackte Tatjana zu einer Sylvester-Orgie mit lauter blassen, blonden Menschen einlädt. Walter fährt wieder nach Hause.
Zwischen schwer deprimierend und sehr komisch schwankt Culicchias Roman "Paso Doble", der im Deutschen den etwas albernen Titel Kommt gut verpaßt bekommen hat. Es scheint der typische Entwicklungsroman über einen Ladenschwengel zu sein, der so langsam alle Hoffnungen der Jugend aufgibt und mit Dreißig genau das Arschloch geworden ist, das er nie werden wollte. Andererseits zeigt die Geschichte eine Welt, in der es sich wirklich nicht lohnt, an Idealen festzuhalten. Die Firma bescheißt einen um den Lohn, die Kollegen sind sanfte Irre, der Geschäftsführer ist ein Schürzenjäger - und draußen ist die Welt auch nicht besser und besteht günstigstenfalls aus Tatjana, mit der man nett auf einer Wiese vögeln kann. Aber sonst? - In Amsterdam sieht Walter ein paar Schlittschuhläufern zu: "Außer einem farbigen Mädchen waren alle blond. Die besten gingen ab wie Raketen und touchierten die im Eis festsitzenden Lastkähne. Ein paar Erwachsene spendeten den waghalsigen Manövern Beifall. Plötzlich brach die weiße Fläche dort, wo das farbige Mädchen stand. Den Bruchteil einer Sekunde sah ich ihre Augen, die zusammen mit dem übrigen Körper ins Wasser glitten. Eine Weile konnte sie noch, nach Atem ringend, schreien. Die Kinder blieben stehen und sahen zu. Die Erwachsenen applaudierten nicht mehr. Dann lachte jemand. Plötzlich lachten alle. In dem Loch verschwanden die letzten Luftbläschen." Das ist gut ausgedacht. Trotzdem kommt es einem so vor, als würde diese Szene täglich in den Nachrichten gesendet.
Thomas Friedrich
Giuseppe Culicchia: Kommt gut. Aus dem Italienischen von Peter Klöss. dtv Nr. 12617, München 1998, 153 S., 14,90 DM ISBN: 3423126175