AUSTRALIEN
Lehrer im Staub
Auch im Outback gab's Existentialisten; die waren allerdings meistens blau
Ein Lehrer will zum Urlaub an die Küste nach Sydney. Kultur atmen, im Meer schwimmen, die Geliebte wiedersehen, dem staubigen Kaff im Mittelwesten entfliehen. Und vor allem: den 28 trostlosen Schülern den Rücken kehren, die nur die Schulpflicht täglich in den muffigen Klassenraum verschlägt.
Der Lehrer John Grant ist literarisch ein weitläufiger Verwandter des Steppenwolfs von Herrmann Hesse: Der ganze Laden gefällt ihm nicht, die Welt ist ihm zu frivol. Die singenden Zugreisenden auf dem Weg nach Sydney gehen ihm ebenso auf die Nerven wie das ganze Land Australien. Die Freundlichkeit der Westler hält er für naiv, ihre einzige Kultur scheint im Saufen zu bestehen (du darfst mit ihren Frauen schlafen und ihre Töchter vergewaltigen - aber wehe du schlägst ihnen einen Drink aus!, denkt er einmal).
In Furcht erwachen erschien erstmals 1961 und gehört heute angeblich zur Schullektüre in Australien; im dortigen Unterricht scheint erheblich aufregendere Lektüre geboten zu werden als hier. Denn John Grant wird nie bis nach Sydney kommen. Er wird sich im nächst besten Kaff festsaufen, er wird all sein Geld verlieren, er wird sich wirklich widerlich benehmen und eines morgens verschwitzt, stinkend und blutverschmiert aufwachen und sich fragen, wie das alles kommen konnte.
Grants Reise in die Finsternis des eigenen Herzens ist dabei keine Zwangsläufige, er hat jederzeit die Möglichkeit, seinen Abstieg anzuhalten. Noch mitten in einer Blutorgie, nachts im Outback, als er und ein paar ziemlich üble Burschen im Suff ein Massaker unter Känguruhs anrichten, denkt er: Warum tue ich das eigentlich? - und sticht zu.
Mit sardonischem Humor schildert Cook seinen Helden als beleidigte Leberwurst, als einen, der die Schönheit der Schöpfung nicht versteht und dem deshalb alles daneben geht: "Die Sterne, die Sterne des Westens, so viele, so hell, so nah, so sauber, so klar, zersplitterten den Himmel mit unbarmherziger Kälte; reine Sterne ohne Emotionen, Sterne, die das Kommando über die Nacht und sich selbst führten; nichts verlangend, nichts verzeihend; unübertrefflich in ihrer Existenz und Gottes unschlagbares Argument gegen den Vorwurf, er habe sich bei der Erschaffung des Westens geirrt." - das ist zwar nur pietistischer Existentialismus, jederzeit zu haben nach einem heißen Tag und 4 Bierchen; aber wie schön im Tonfall!
Dementsprechend versöhnlich endet der Roman. Nach aller lakonisch beschriebenen Hoffnungslosigkeit nimmt die Welt am Ende die dunkle Seele des Lehrers John Grant geläutert zurück, der demütig in sein Kaff zurück kehrt, um weiter zu unterrichten.
Das ist als Geschichte nicht überwältigend, aber in seiner Mischung aus Rausch und Ironie, Pathos und Witz fantastisch beschrieben. Und es ist der einfachen, freundlichen Seele Australiens viel näher als dem zergrübelnden, modischen Existentialismus seiner Zeit.
Kenneth Cook, der hier erst seinen zweiten Roman vorlegte, ist 1987 im Alter von nur 57 Jahren gestorben.
Thomas Friedrich
|