NETZWERKE

Um drei Ecken

Dieses Buch muss jeder lesen, den wir nicht kennen

Von Netzwerken reden alle seit ein paar Jahren. Vom Nutzen der Business-Clouds und von den Gefahren der Facebook-Epidemie. Zwei amerikanische Wissenschaftler haben nun zusammengetragen, was man über diese seltsame dritte Kraft weiß, die neben "Ich" und "Wir", Individuum und Gesellschaft, unser Leben bestimmt. Und unseren Bauchumfang zum Beispiel.

Nicholas A. Christakis und James H. Fowler tun in Connected! Die Macht sozialer Netze und warum Glück ansteckend ist gar nicht erst so, als hätten sie das Phänomen erfunden. Sie kamen eh nur zusammen, weil ein gemeinsamer Freund Ähnlichkeiten ihrer Forschungsansätze erkannte und machten aus dem persönlichen Beispiel eine Art Gesetz: Was wir tun und denken, bestimmen zu einem großen Teil die Leute mit, die Leute kennen, die wir kennen.

Das ist so allgemein natürlich trivial, führt im Besonderen aber zu seltsamen Effekten. Manche werden dick, weil ihr dünner Bekanntenkreis viele Dicke kennen lernt und aufhört, Bauchwitze zu machen. Andere kriegen trotz weniger Sexualkontakte Geschlechtskrankheiten, weil drei Ecken weiter in ihrem sozialen Netz Quickies Mode sind.

Christakis und Fowler überschütten den Leser mit Statistiken zu allerlei Ansteckungsphänomenen und ziehen überraschende Schlüsse. Anti-Drogenkampagnen etwa sollten nicht auf die User zielen, sondern auf deren cleane Freundesfreunde. Das sei sowohl sparsamer als auch wirksamer. Wenn man nur die richtigen Netzknoten herausfände.

Die meisten Beispiele stammen aus der Prä-Internet-Ära, aber es gibt auch ein schönes Kapitel über eine Epidemie in der World of Warcraft. Und es gibt trotz des durchgehend unterhaltsamen Tons immer wieder schwierige Passagen zur Methodenkritik. Schließlich wirken ja nicht nur bestehende Netzwerke irgendwie naturgesetzlich auf ihre Insassen, sondern entstehen auch voller Absicht Einzelner jeden Tag neu.

An manchen Stellen ist Connected! sicher etwas zu lax im Überschwang der neuen Soziallehre. An manchen Ecken riecht es auch nach statistischer Zauberei und es wird Datenschützer ängstigen, dass man zur genaueren Erforschung des Netzwerk-Wesens etwa eine globale Vorratsdatenspeicherung aller Handykontakte gut brauchen könnte.

Aber als Aufbruch zu einem neuen Verständnis von Gesellschaft liest sich das Buch angenehm anekdotisch.

Wing
Nicholas A. Christakis / James H. Fowler: Connected! Die Macht sozialer Netze und warum Glück ansteckend ist. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Neubauer. S. Fischer, Frankfurt/M. 2010, 431 S., 22,95