SÜDAFRIKA
Innerlich belagert J.M. Coetzees Roman »Schande« Herr Lurie ist Professor in Kapstadt, zweimal geschieden, über 50, und hat "das Sexproblem" seiner Meinung nach gut gelöst: einmal die Woche, donnerstags, fährt er zu einer Hure, kriecht zu ihr ins Bett, entledigt sich seiner Leidenschaften - und ist's zufrieden. Etwas geht schief - die Hure wechselt den Job. Kurz darauf verliebt sich Lurie in eine seiner Studentinnen, ein passives, ichbezogenes Mädchen, das die Leidenschaftsanwandlungen ihres Lehrers eher gleichgültig über sich ergehen läßt. Lurie, in Leidenschaft entbrannt, nötigt dem armen Ding seine Gefühle auf. Etwas zerbricht. Das Mädchen beendet in Panik ihr Studium, der Professor wird vor eine Kommission zitiert und des Mißbrauchs bezichtigt. Er gibt alles zu, verweigert aber den Akt der öffentlichen Reue - gerade weil er sich auf eine andere Art, als die Kommission meint, schuldig fühlt. Das sei ein philosophisches Problem, sagt Professor Lurie, weshalb er seinen Job verliert und zu seiner Tochter aufs Land zieht. Seine Tochter, mitte 20, blond, ein bißchen rundlich und Single-Lesbe, betreibt eine kleine Farm am Ost-Kap. Eines Tages tauchen drei Schwarze auf der Farm auf, sperren den Vater im Klo ein, vergewaltigen die Tochter und verschwinden mit jeder Menge Diebesgut. Die Tochter zeigt den Überfall und den Diebstahl an, nicht aber, zum Zorn ihres Vaters, die Vergewaltigung. Vielleicht, sagt sie, sei das der Preis, den sie als weiße Frau in Südafrika zu zahlen habe: fortan in Schande unter den Schwarzen geduldet zu sein. Was wie ein etwas pathetisches und überdies recht männlich-selbstgefälliges Stück Erbauungsroman klingt, wird in der kalten, präzisen Prosa des weißen Südafrikaners J.M. Coetzee zu einer schmerzlichen Lektion, auch für den Leser, der schnell bereit ist, Position zu beziehen. Denn Coetzee gibt der T ochter nicht durch ihre Reden oder ihr Verhalten recht, sondern durch das jämmerliche Bild, das er vom Vater zeichnet, der Hauptfigur des Romans: Ein Mann ohne Leidenschaften, aber mit Prinzipien. Er hat immer das getan, was verlangt wurde, wenn auch mit inneren Widerstandsgefühlen. Er ist ein Liberaler und belesener Kopf. Er vermag das eigene Unrecht zu erkennen, wie es sich in seinem Verhalten gegenüber der Studentin spiegelt. Aber als Vater ist es ihm unmöglich, die Position seiner Tochter zu verstehen. Der Preis, den sie zu zahlen bereit ist - restlose Assimilation in einer Kultur, die sie innerlich ablehnt - erscheint ihm unangemessen hoch. Und doch kann er nichts verhindern. Die Stimmung in Schande ist durchweg bedrohlich. Coetzee, der schon gute und kluge Romane während der Apartheid schrieb (Leben und Zeit des Michael K., Warten auf die Barbaren), schildert ein Land im inneren Belagerungszustand. Die alte Ordnung ist weg, die neue funktioniert nicht. Ein schönes Bild dafür ist die Tierklinik, in der Lurie auf dem Land arbeitet: Die Zuschüsse wurden gestrichen, ehrenamtlich arbeitet eine Handvoll Weiße in der Klinik weiter und versorgt die Tiere - auch - der schwarzen Bevökerung. Es kann auf Dauer nicht funktionieren, aber da niemand etwas besseres weiß, machen alle erst mal weiter wie bisher. Thomas Friedrich
|
J.M. Coetzee: Schande Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer, Frankfurt 2000, 288 S., 38,- DM |