GUT & BÖSE Die letzte Anya J. M. Coetzee schreibt schon wieder über eine Dreierbeziehung Das Tagebuch eines schlimmen Jahres hat drei Stimmen. Die eine gehört dem Schrifsteller "J.C." (wie er im Buch heißt), der kleine Essays über Gott und die Welt schreibt (wir sind in der Post-9/11-Moderne: er schreibt über Guantanamo, Grammatik und Tolstoi). Die zweite Stimme gehört Anya, von J.C. als Sekretärin angestellt, damit sie seine Gedanken abtippt. Die dritte Stimme gehört Anyas Freund, einem sozial etwas verwahrlosten Börsianer, der J.C. gerne um dessen Geld bringen möchte. Das erinnert nicht nur in der Konstruktion an Coetzess Roman Schande (2005), in dem die Personenaufstellung ähnlich war. Hier hat Coetzee das polyphone Erzählen allerdings auch ins Buchseiten-Layout übernommen: Alle drei Stimmen sind gleichzeitig auf den Seiten präsent, eine Dreiteilung der Seiten erlaubt ein Erzählen, in dem die Text-Teile in spannender Ungleichzeitigkeit nebeneinander herlaufen. Während im oberen Teil der Buchseite J.C.s Gedanken über den Staat, das Kunstlied oder die Apartheid verhandelt werden, lesen wir weiter unten und ein paar Seiten später, was Anya von diesen Gedanken hält. Ähnlich wie in Schande berührt der erneute Versuch Coetzees, an "das gute Ende" zu glauben. Zunächst legt er seine Anya als oberflächliches, arschwackelndes Sexobjekt an, um sie später in genau die gute Seele zu verwandeln, von der ein alternder Schriftsteller träumt - zumindest Coetzee, der seinen J.C. rätseln lässt, ob diese Anya denn jenes letzte weibliche Wesen ist, das ihn bis zum Tode geleiten wird. In seiner Mischung aus Kühle, Ratio und messerscharf beschriebener Einsamkeit ist auch dieser Roman eher ein Erzähl-Experiment als eine sentimentale Reise. Der südafrikanische Nobelpreisträger, seit langem in Australien lebend, misstraut der Kraft der Erzählung (auch der eigenen), sodass er ihr immer wieder mit Einwänden aus der Wirklichkeit in den Arm fällt. Coetzee scheint die eigene jugendliche Naivität rückblickend zu bewundern, mit der er in seinen Romanen Im Innern des Landes oder Warten auf die Barbaren in den 70ern und 80ern das Elend des rassistischen Südafrika in Geschichten verwandelte. Derlei, ohne es hier offen auszusprechen, scheint ihm nicht mehr opportun. Stattdessen lässt er die Geschichte im Idyllischen enden. Angesichts der vorher beschriebenen Wirklichkeit ist das bei Coetzee ein eher böses Ende. Thomas Friedrich
J.M. Coetzee: Tagebuch eines schlimmen Jahres Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer, Frankfurt 2008, 236 S., 19,90
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