MONEY TALKS

Zeit und Geld

Die Wirtschaftsgeschichten des Carlo M. Cipolla

Der Professor kann schreiben was er will, es wird immer ein Mitbringsel daraus, das man Bankkaufleuten statt des Schlipses an den Hals wünschte. Nicht, um sie beim Geschäft zu stören - Carlo M. Cipolla ist Wirtschaftshistoriker ohne jeden Hang zu sinkenden Zinsen - sondern zum Beweis, daß es ebenso interessante wie unseriöse Zusammenhänge hinter Cash, Carry und a-Konto gibt.
Zum Beispiel die Zeitmessung. Cipolla erklärt die Erfindung der Zwiebel, also die Entwicklung des mechanischen Stundenzählers mit strengem Blick auf die Verdienstmöglichkeiten. Kulturgeschichtliche Fragen (warum "bastelte" die klassische Antike so viel und machte sowenig daraus - wieso "erfand" das dunkle Mittelalter ein Handelsgut nach dem anderen) kommen direkt nur im Vorwort vor - aber industriephilosophisch gewendet ist Gezählte Zeit dann doch mehr als ein Termingeschäft.
Gerüchteweise nämlich haben die Araber die Uhr entdeckt - und Kaiser Karl kriegte die erste in Europa geschenkt. Sogar Anfang des 14. Jahrhunderts gab es nur im Orient vernünftige Bauanleitungen für Wecker - 100 Jahre später schon begann der Uhr-Export von Venedig nach Indien. Das interessiert Cipolla mehr als die Frage, wie der gleichförmige und der Natur so wenig angemessene Stundenschlag das Leben veränderte: wie konnten - und warum wollten - Handwerker hier die Feinmechanik vorantreiben ... und weshalb waren Uhren für lange Zeit das einzige Produkt, das Chinesen, Japaner usw. uns abkauften. Sogar wenn sie gar nicht den Tag damit massen (richtige Japaner verwenden noch heute ungleichmäßig gehende Uhren für lange Tag- und kurze Nacht-Stunden)? Daher rührt übrigens der einzige orientalische Ingenieurs-Beitrag zur Uhr: nicht der Zeiger, das Zifferblatt dreht sich - und wird je nach Stunden-Politik ausgetauscht.
Andersherum geht es in Die Odysee zu. Nicht Produkte sondern Tauschmittel begründen nun die Wirtschaftsflüsse. Im 16. Jahrhundert plünderte Spanien die amerikanischen Kolonien aus, trieb, als die Opfer tot oder verarmt waren, den Silberbergbau voran - und wurde zur Weltmacht. Nicht wegen des direkten Reichtums der Krone, argumentiert Cipolla, sondern weil die Liquidität stieg, die Geldmenge (tatsächlich mehrheitlich durch Schmuggel) derart wuchs, daß spanische Kaufleute und spanische Münzen weltweit die Börsen dominierten. So floß das Bargeld ab, und mehrheitlich nach Asien. Hier wiederholt Cipolla Passagen aus dem ersten Buch - und überholt es, weil der Uhrenexport zwar eine weitgehend unbekannte historische Schnurre ist - der wirtschaftliche Durchbruch aber mit dem Opium kam, das die Engländer mit spanischem Geld in Indien kauften und in China gegen Tee etc. eintauschten. Die Handelsbilanz Asiens, das lange über europäische Produkte nur lächelte, verfiel ins Minus - und wir ahnen schon, worüber Cipolla seine nächste Ökonomie-Historie schreibt.
WING
Carlo M. Cipolla: Gezählte Zeit. Wie die mechanische Uhr das Leben veränderte / Die Odyssee des spanischen Silbers. Conquistadores, Piraten, Kaufleute Wagenbach, Berlin 1998/99, je 128 S., 36.- DM