GEHEIMDIENSTE All the Presidents Men Tim Weiner erzählt Dönekes aus der US-Politik der letzten 50 Jahre Am Anfang standen verrückte Ideen. Etwa diese, ob man Fledermäusen Brandbomben auf den Rücken schnallen könne, um sie dann in Richtung Tokio zu schicken. Am Ende, 50 Jahre später, sperrte man einen Verdächtigen in eine 60 mal 60 große Kiste, bis der nach 17 Stunden "verriet", dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitze. (Der lange Weg vom abstrakten Irrsinn zum konkreten Verbrechen dürfte vor allem die Fledermäuse freuen.) Tim Weiner, Journalist bei der New York Times, stört sich in seinem Buch weniger an dem moralischen Niedergang eines Geheimdienstes (oder gar seines Landes), er ärgert sich vor allem über die Misserfolge, die dabei erzielt wurden, und führt sie immer wieder auf strukturelle Probleme zurück. Das Versagen der CIA ist tatsächlich beeindruckend: Die Kuba-Krise begann, nachdem die Agency kurz vorher in einem Tagesbericht versichert hatte, niemals würde Sowjet-Führer Chrustchow Raketen auf der Insel stationieren; schon zum Zeitpunkt des Berichtes tat er genau das. Im Korea-Krieg hielt die CIA es für ausgeschlossen, dass China sich in den Konflikt einmische. Die massive Truppenansammlung zur koreanischen Grenze sei nichts weiter als die Vorbereitung für ein Manöver. Und von der Suez-Krise hatte sie nun gar keine Ahnung. Die Israelis hatten die Agency wochenlang mit Falschinformationen gefüttert, um sie in die Irre zu führen. Am deutlichsten springt das Versagen des US-Nachrichtendienstes ins Auge, wo sein eigentliches Kerngeschäft lag: in der Beobachtung der Sowjetunion. Nie gelang es der CIA, einen Agenten zu platzieren, der etwa hätte berichten können, was im Polit-Büro besprochen wurde. Der Ungarn-Aufstand, der Einmarsch in die CSSR oder später in Afghanistan trafen die USA auch deshalb unvorbereitet. Auffälliger und effektiver war die CIA dort, wo sie selbst Politik machte. Ob sie Regierungen stürzte (wie in Guatemala, Persien oder Chile), Oppositionelle ermorden ließ (wie in Kenia, Vietnam oder Laos) oder ob sie die eigenen Botschafter abhörte, um sie beim Außenministerium zu denunzieren: Immer betrieb die Agentur eine eigene, meistens von niemandem kontrollierte Politik. Genauso oft musste sie aber auch die Ratlosigkeit der Politik ausbaden. Wenn die traditionellen Mittel versagten, griffen etwa Kennedy, Reagan oder Clinton auf die CIA zurück, die gar keine Befugnisse besass, Bomben abzuwerfen, nur weil die Politiker nicht weiter wussten. Weinerts Buch greift auf viele bis vor Kurzem nicht zugängliche Quellen zurück. Damit werden Dinge, die man der CIA und den USA bisher unterstellte, belegbar. Eine neue Sicht ergibt das meistens nicht. Und schon gar nicht ist dies "Die ganz Geschichte", wie der deutsche Titel suggeriert (das Original heißt viel schöner "Legacy of Ashes"). Große Teile der US-Geschichte bleiben ausgespart, die etwas konfuse Übersetzung tut ihr Übriges, dass man keine rechte Vorstellung vom Organisationsaufbau der US-Nachrichtendienste bekommt. Chronologisch geordnet fällt vor allem auf, wie wenig Weiner zur Clinton- und Bush-Ära zu sagen hat. Das mag daran liegen, dass viele Dokumente aus der Zeit noch nicht freigegeben wurden. Andererseits ist Weiners Haltung allzu deutlich republikanisch, wenn er einerseits beklagt, die Clinton-Regierung habe kein außenpolitisches Konzept gehabt (und den Balkan-Krieg fast außen vor lässt), andererseits an Bushs Buben kaum was zu kritisieren hat und dabei der CIA vorwirft, sie sei mit ihren Fehlinformationen über die Massenvernichtungsmittel im Irak für den vorerst letzten Golfkrieg verantwortlich. Dass Bush wild entschlossen war, in den Irak einzumarschieren, auch ohne CIA-Unterstützung, erwähnt Weiner mit keiner Silbe. Weiner und seine Zeitung haben, wie andere US-Medien auch, nach dem 9/11 Bush und dessen anti-terroristischen Maßnahmen kaum Kritik entgegengestellt. Einmal beschreibt Weiner, wie er als Augenzeuge bei Tora Bora miterlebte, wie die US-Luftwaffe Osama bin Ladens Versteck bombardiert. "Damals wollte ich nichts anderes als Bin Ladens Kopf aufgespießt zu sehen", schreibt er, und mäkelt, man hätte den (mit CIA-Hilfe erbauten) Höhlenkomplex besser mit taktischen Atombomben angegriffen. Seit dem 9/11 sind Amerikaner einfach anders drauf. Erich Sauer
Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte. Aus dem Amerikanischen von Elke & Ulrich Enderwitz, Monika Noll, Rolf Schubert. S.Fischer, Frankfurt 2008, 864 S., 22,90
|