FAMILIEN
Jeskos Leiden Chris Kraus guckt einer Sippe untern Rock Er trägt Röcke und sein Sarkasmus ist unglaublich: Jesko, der Held des Romans Scherbentanz. Zwischen Scherben tanzt Jesko allerdings. Sein chronisch schluckaufkranker Vater würde ihn gerne heimholen in die Dynastie "Solm Zement", damit er an der Seite seines angepassten Bruders Ansgar das baltische Erbe forttrüge. Jesko ist allerdings anders drauf. Er reflektiert über Mode, über die Bedeutung von Farben und liest Seneca, den er als Basis innerer Gelassenheit im Sturm des Lebens entdeckt hat. Jeskos Mutter ist eine durchgeknallte Alkoholikerin, die einst vom Vater verlassen wurde und daraufhin versucht hat, die Söhne umzubringen. Weil Jesko an Leukämie erkrankt ist, lockt Bruder Ansgar nicht nur ihn zurück nach Hause, sondern auch Mutter Käthe, die solange im Tantenhaus wohnen soll, bis sie bereit ist, eine Probe ihres Knochenmarkes testen zu lassen und Jesko möglicherweise durch eine Spende zu retten. So desolat die Situation klingt, so absurd und so unlesbar, so mitreißend und witzig ist sie beschrieben. Jeskos Wortwahl, seine Gedanken, die Art, wie er Dinge anpackt und wie er ständig zwischen allen Extremen des Seins taumelt, ohne von seiner ironischen Weltsicht abzurücken, machen das Buch zu einem Vergnügen. Mit der Mutter wird er ins Gästehaus gezwungen, und während sie Hakenkreuze in den Rasen mäht, schlägt er sich mit Krankenschwerster Zitrone herum, der Freundin des Bruders, die biederer und langweiliger nicht sein könnte. Im Laufe der Geschichte entdeckt Jesko dann allerdings Zitrones ganz und gar nicht biedere Sexsucht, bricht in das Zimmer seines Vaters ein, klaut das Auto seiner Stiefmutter, stellt fest, dass er einen weiteren Bruder hat, der vom Vater unterschlagen wurde. Weil das Buch vor allem durch die Sprache lebt, ist nicht richtig zu verstehen, weshalb auch ein Film daraus wurde. Chris Kraus, der als Drehbuchautor, Regisseur und Dramaturg arbeitet, hat die Regie übernommen; der Film kommt am 31.10. ins Kino. Julika Pohle
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Chris Kraus: Scherbentanz. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002. 200 S., 17,90 Euro |