GESCHICHTE
Seltsame Belagerung Der »Boxer«-Aufstand in China und deutscher Größenwahn Als die imperialen Mächte gegen Ende des 19. Jahrhunderts China soweit geknebelt und gedemütigt hatten, daß selbst die korrupte chinesische Regierung keinen anderen Ausweg mehr sah, als den Volksaufstand der "Boxer" zu fördern, da stellten sich die Deutschen mal wieder besonders dusselig an. Die aufständischen Bauern waren erstens fremdenfeindlich, zweitens christenfeindlich (weshalb sie haufenweise christianisierte Landsleute, sogenannte Reis-Christen, massakrierten) und drittens kaisertreu. Weshalb die chinesische Kaiserin die "Boxer"-Verbände schließlich der regulären Armee unterstellte und im Jahre 1900 das Botschaftsviertel in Peking angreifen ließ. Fünfundfünfzig Tage verschanzten sich Engländer, Franzosen, Russen, Deutsche, Amerikaner und Japaner gemeinsam im Boschafterviertel, bis Russen, Amerikaner und Japaner Entsatz schickten. Und wo waren die Deutschen? Unterwegs. Als der deutsche Gesandte Ketteler kurz vor der Belagerung ermordet worden war, hatte der deutsche Kaiser allen ernstes als Sühne gefordert, Peking müsse "dem Erdboden gleich gemacht" werden. Ein internationales Expeditionskorp unter deutscher Leitung wurde in Bewegung gesetzt, aber als es schließlich ankam, war schon alles vorbei. Weshalb die Deutschen das taten, was sie bis 1945 immer am liebsten taten: Strafaktion durchführen. Achtundvierzig Strafexpeditionen unter deutscher Beteiligung kamen so zustande, das Gemetzel an der Zivilbevölkerung erinnerte selbst den deutschen Kommandeur an den 30jährigen Krieg. Deutsche Soldaten haben in China auch nicht eine reguläre Schlacht geschlagen. Der englische Journalist Peter Fleming, Bruder des "Bond"-Erfinders Ian, hat in den 50er Jahren die Geschichte der Botschafts-Belagerung aufgeschrieben. Nach chinesischen und alliierten Dokumenten versucht er, nicht nur die Seltsamkeiten der Belagerung selbst zu durchleuchten, sondern auch die persönlichen Geschichten der Belagerten zu rekonstruieren. Tatsächlich war die 55 Tage lange Belagerung ein Unding: Die Überlegenheit der chinesischen Verbände hätte eine Kapitulation nach spätestens einer Woche erzwingen müssen - so sehen es die, die damals vor Ort waren. Die verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der chinesischen Regierung führten wohl dazu, daß die Belagerung nur halbherzig durchgeführt wurde. Es scheint, als habe jemand sehr genau darauf geachtet, daß es nicht zum Sturm der Botschaften kam - mit für Peking dann katastrophalen Folgen. Immerhin hatte das zerrissene, militärisch schwache China durch diese Aktion die ansonsten verfeindeten europäischen Mächte samt Japan und den USA gemeinsam gegen sich. Flemings Die Belagerung zu Peking ist eine politische und militärhistorische Reportage, die sich um Fairneß bemüht. Fleming versucht, die wahnsinnigen Massaker der "Boxer" ebenso zu verstehen wie die Geldgier der Europäer, die allein dazu geführt hat, sich in China auszubreiten. Da es zudem spannend und unprätentiös geschrieben ist, war es eine gute Idee, es in Eichborns "Anderer Bibliothek" noch einmal aufzulegen. Erich Sauer
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Peter Fleming: Die Belagerung zu Peking. Zur Geschichte des BOXER-Aufstandes Aus dem Englischen von Alfred Günther und Till Grupp. Nachwort von Petra Kolonko. Die Andere Bibliothek Bd. 155, Eichborn, Frankfurt 1997, 370 S., mit zahlr. sw-Abb., 49,80 DM |