BIOGRAPHIE
Immer ein anderer Bruce Chatwin - der Mann, der sich neu erfand Als Koch konnte er herrlich danebengreifen (und war doch so stolz auf seine Herd-Kunst). Als Freund war er brillant, laut, lustig, nervig, unberechenbar. Und als Autor war er eine der Sensationen der 80er - Bruce Chatwin, Reiseautor, Romancier, Lebenskünstler. Und ein bißchen die letzte Inkarnation von Oscar Wilde, der für ein gutes Bonmot jede Wahrheit bedenkenlos opferte; so auch Chatwin. Bruce Chatwin hatte als Laufbursche bei Sotheby's angefangen, brachte es als Gutachter bis zum Abteilungsleiter, studierte (erfolglos) Archäologie, wurde journalistischer Mitarbeiter einer Illustrierten, reiste dann plötzlich nach Patagonien, wovon er mit einem riesigen Manuskript zurückkam, das der Lektorin Susannah Clapp vorgelegt wurde, die damals in einem Gutachten schrieb, das Buch sei leider zu gut, um abgelehnt zu werden, aber es müsse noch einiges daran getan werden. So lernte Susannah Clapp Bruce Chatwin kennen. Ihr Buch Mit Chatwin ist ein Versuch, diesen Mann zu beschreiben, ohne ihn einfach nur zu feiern, aber gleichzeitig herauszustellen, worin das Faszinierende, Einmalige lag, das dafür sorgte, daß man Chatwin all seine Marotten verzieh. Chatwin war ständig auf der Suche nach "dem besten Ort" zum Schreiben. Er war ein Reiseschriftsteller, der sich seine Geschichten erfand (obwohl er alle Orte besucht hatte, über die er schrieb und seine Geschichten gut recherchierte). Er schrieb über Kunstsammler, Sklaverei, Aborigines und Philosophen, er fand immer reiche Gönner, bei denen er für Wochen unterschlüpfen konnte. Das eine Buch, das er immer schreiben wollte (über Nomaden und den menschlichen Drang, weiterzuziehen), blieb unvollendet, aber wenn man Susannah Clapp glauben darf, sind viele Teile davon in seine anderen Bücher eingeflossen. Er umgab sich mit Legenden (von denen die einfachste war, er habe bei Sotheby's gekündigt, weil er über der Arbeit blind geworden sei) und verbreitete bis zum Ende, seine tödliche Krankheit sei durch einen exotischen Pilz hervorgerufen worden, den er sich auf einer seiner Reisen zugezogen hatte. Bruce Chatwin, der Männer wie Frauen faszinierte und bisexuell und verheiratet war, starb, recht qualvoll, an AIDS. Das Buch der Clapp ist keine Huldigung, kein falsches "Hier war ein Genie!"-Geflenne, sondern eine Verbeugung vor einem sehr ungewöhnlichen Menschen und einem großen Schriftsteller. Man kann Clapps Buch lesen, ohne eine Zeile von Chatwin zu kennen; man wird das anschließend nachholen wollen. Victor Lachner
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Susannah Clapp: Mit Chatwin Portrait eines Schriftstellers. Aus dem Englischen von Anna Kamp. Hanser, München/Wien 1998, 256 S., 38,- DM |