SCIENCE FICTION
Blutwäsche
Alastair Reynolds zweiter Band aus dem Yellowstone-Universum
Der Mann hat einfach viel zu erzählen: mehr als 800 Seiten dick ist Chasm City von Alastair Reynolds, und trotzdem ist es nicht leicht, die Geschichte zu erzählen, ohne was von den vielen Pointen, Überraschungen und erzählerischen Tricks zu verraten, die Chasm City zu einem echten page-turner machen.
Hauptfigur und Erzähler ist der Profi-Killer Tanner Mirabel, der von "Sky's Edge" aufbricht, um einen Mann zu töten, aus rein persönlichen Gründen. Mirabel läßt sich einfrieren (die Reise zu "Yellowstone" dauert immerhin 15 Jahre), aber als er wiedererweckt wird, ist nichts mehr so, wie er es erwartet hat. Der einst reiche, glückliche Planet hat sich in einen Slum verwandelt. Schuld daran ist die "Schmelzseuche", die dafür sorgt, dass alle Maschinen und jede Technologie plötzlich ein Eigenleben entwickeln. Auch Mirabel ist offensichtlich jemand anderes geworden, nach dem Auftauen leidet er unter einer Teilamnesie, und in seinem Kopf spuken seltsam realistische Träume herum, die von Sky Haussmann handeln, dem Gründer von "Sky's Edge", einem legendären Massenmörder, der für seine Verbrechen gekreuzigt wurde. Während Mirabel sich auf die mühsame Suche nach seinem Opfer macht, das sich irgendwo in "Chasm City" versteckt, entdeckt er immer neue Tatsachen über sich, das Universum und den ganzen Rest.
Stilistisch hat Reynolds seinen 2. Band aus dem "Yellowstone"-Universum als hardboiled-Krimi angelegt. "Um die moralischen Fragen kümmere ich mich, wenn ich das Blut aufgewischt habe", sagt sein Held Tanner Mirabel, der immer mehr entdecken muß, dass seine Motive ganz andere sind, als er anfangs glaubte, und der immer mehr zum Rächer der Witwen und Waisen wird.
Bei aller Phantasie, mit der Reynolds sein Universum beschreibt, bei allem Talent für großartig ausgedachte Architektur (sein "Chasm City" ist ein vertikal aufgebauter Moloch, eine Alptraumstadt, in der unten in den Slums genetisch veränderte Menschen-Schweine als Räuberbanden hausen, während oben, im "Geäst" der Stadt, der reiche Adel ein Leben in Luxus und Laster führt), bei aller Detailfreude, mit der er kilometerlange Generationen-Raumschiffe beschreibt, verläßt der in Holland lebende walisische Astronom nie die Grenzen der Einstein'schen Physik. In einem Interview sagt er: "If there is one thing I think might be original, it's an attempt to do fairly baroque, wide-screen space opera within the context of Einsteinian physics - no faster than light travel or communication. I actually find this fun; it seems to open up just as many story-lines as are excluded." Tatsächlich verbietet das Einstein-Universum keineswegs, sich Delphine als Foltermeister auszudenken, weltraumreisende Riesen-Maden, die mal eben 300 Millionen Jahre auf ein Erreignis warten, Nano-Roboter, die ganze Häuser in minutenschnelle umbauen (und dabei leider die Bewohner in den Wänden mit-verbacken) und biochemische Viren, die jeden Agnostiker in einen glühenden religiösen Fanatiker verwandeln.
Ideen hat Reynolds offensichtlich genug, 1600 Seiten aus seinem verrückten Universum sind auf deutsch schon erschienen (Bd.1 Unendlichkeit: siehe Ultimo 26/01), ein dritter Band ist im Sommer 2002 in England herausgekommen, ein vierter, der dann aber auch wirklich alles erklärt, soll bald folgen.
Alex Coutts
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