IRRGLAUBEN

Fakire sitzen bequem

Warum das Übernatürliche ganz natürlich ist

Dass Lehrer zu 30% Astrologie für eine Wissenschaft halten, ist bedenklich genug. Dass in Frankreich Schulklassen nach astrologischer "Stimmigkeit" zusammengestellt wurden, einigermaßen entsetzlich. Beeindruckend auch, dass der Aberglaube im Volke zunimmt, und zwar in den sogenannten gebildeten Schichten: Bauern glauben viel weniger an Übernatürliches als Studenten.
Mit solchen Statistiken - die Werte mögen für Deutschland ähnlich sein - begründen Georges Charpak und Henri Broch ihr leidenschaftliches Eintreten für Skeptizismus und Wissenschaft. Was macht der Fakir auf dem Nagelbrett? widmet sich "paranormalen" Phänomenen und deren Erklärungen. Sie wollen sich die Zunge durchbohren, auf Nägel sitzen, durch Feuer gehen, den Herzschlag anhalten, Gedankenlesen, Löffelverbiegen? - hier steht, wie's geht. Charpak und Broch haben nichts gegen Zauberei, Illusionen, Wünschelrutengänger - nur hat das eben nichts mit Wissenschaft zu tun: "Werden Sie Zauberer! Bleiben Sie Wissenschaftler!" ist ihr Credo. Auf einem dicht genagelten Fakir-Brett ist es für jedermann bequem.
Dass ein Pendel pendelt ist gar keine Frage - aber warum das so ist, eben auch nicht. Wünschelrutengänger finden meistens kein Wasser (unter wissenschaftlich kontrollierten Bedingungen jedenfalls nicht), und ein "Magier", der in einer TV-Sendung Millionen Zuschauer auffordert, Glühbirnen anzuschalten, die er dann per Geisteskraft platzen lassen wird, macht sich einfach das Gesetz der großen Zahl zunutze: bei soundsoviel Millionen Zuschauern müssen rein statistisch pro Stunde ca. 2000 Glühbirnen durchbrennen. Überhaupt die Statistik: dass wir ein bestimmtes unwahrscheinliches Phänomen erleben, ist, logisch, ziemlich unwahrscheinlich. Dass wir irgendwann mal irgendein unwahrscheinliches Phänomen erleben, ist hingegen sehr wahrscheinlich.
Charpak und Broch führen keinen Kampf für die "reine Lehreö. Wir haben auch keine Wahrheiten, die es uns erlaubte, unseren Mitmenschen Vorschriften zu machen, sagen sie. Aber nur wenn wir die Welt halbwegs verstehen, sagen sie, können wir uns richtig und moralisch verhalten. Und etwa den Kampf gegen "Elektrosmog" für unwichtiger halten als den gegen den weltweiten Hunger.
Nach einer von Charpak und Broch zitierten Umfrage unter Naturwissenschafts-Studenten hielten 68% Astrologie für eine "erwiesene Wissenschaft", nur 18% sagten das über Einsteins "Relativistische Zeitdilatation", die 52% für eine "rein theoretische Spekulation" hielten. Ohne den Bogen zu weit spannen zu wollen: bei den Nazis war das Staatslehre.
Erich Sauer
Georges Charpak, Henri Broch: Was macht der Fakir auf dem Nagelbrett? Erklärungen für unerklärliche Phänomene. Aus dem Französischen von Thorsten Schmidt. Piper, München 2003, 255 S., 17,90 ISBN: 3492045189