THRILLER

Ein kleiner Krieg

John le Carré erklärt uns den Kongo

Auch wenn John le Carré sich neuerdings für Afrika interessiert, vor allem für den Kongo, den er nach Der ewige Gärtner wenigstens indirekt zum Gegenstand seines neuen Romans macht, ist Geheime Melodie vor allem ein Roman über England und über den Westen. Am Ende wird jemand in einem Guantanamo-ähnlichen Lager sitzen, und wir und er wissen, dass erst das Ende des wohl nie endenden "war on terror" ihm die Freiheit zurück bringen kann.
Es geht um eine Kongo-Konferenz. Ein Industrie-Konglomerat (das anonym bleiben möchte) garantiert die Unterstützung eines charismatischen afrikanischen Führers, der die bodenschatzreiche Kivu-Region im Kongo befrieden könnte, jene Region, die seit den Massenmorden in Ruanda nicht mehr zur Ruhe kommt, weil Flüchtlinge, Banditen und Armeen in den Kongo flüchteten oder einmarschierten und einander massakrieren, jagen, ausplündern.
Gegen eine kleine Beteiligung an vorgeblich vollkommen unwichtigen Bergwerksarbeiten garantiert das anonyme Konglomerat, man werde die Region von der korrupten Zentral-Regierung in Kinshasa unabhängig machen.
All dies breitet sich vor einem Dolmetscher aus, der zu dieser Geheimkonferenz abkommandiert wurde, auf der die Zukunft des Kivu und des Kongo verhandelt werden soll: "Der Kongo, die Lachnummer Afrikas, vergewaltigt, ausgeplündert, verkorkst, bankrott, blutrünstig, verhöhnt und für dumm verkauft, in jedem Land des Kontinents berüchtigt für seine Unfähigkeit, seine Sittenlosigkeit und Anarchie" - schreibt Dolmetscher Bruno Salvador.
Natürlich hat kaum jemand lautere Absichten, was die Zukunft des Kongo betrifft. Und wer auch nur ab und zu eine Zeitung liest, wird von dem, was le Carré hier erzählt, nicht überrascht sein. Überraschend ist eher die späte Wendung des Romans, die ein wenig den westlichen Zynismus beleuchtet: Wir wissen von nichts, wir haben nur gute Absichten, und niemand wird uns für böse halten, nur weil wir bei unserer unermüdlichen Hilfe für Afrika auch noch ein bisschen Geld verdienen wollen.
Der ewige Gärtner hatte als Film einen versöhnlichen Schluss, der dem dramatischen, sehr bösen Ende des Buches viel von seiner Wucht nahm. Geheime Melodie liest sich so, als habe le Carré solch eine Verfilmung bereits vorweg nehmen wollen. Die Tragödie endet in der Farce (einem realen Ereignis um den Thatcher-Sohn Marc dabei recht nahe kommend), der Held erleidet ein Schicksal, das wir aus Eric Ambler-Romanen kennen, er wird in die Staatenlosigkeit abgeschoben, so ziemlich das Schlimmste, was einem in der modernen Welt passieren kann.
Formal ist der Roman meisterlich gebaut, die Entwicklung der Hauptfigur, die Beschreibung der Konferenz mit ihren vielen geheimen Nebenabsprachen, ist zweifellos spannend. Aber mit politischer Erkenntnis hat uns le Carré früher besser und brutaler versorgt. Die Mitteilung, dass die Afrikaner den Kongo-Krieg mit seinen 5 Millionen Toten den "Ersten afrikanischen Weltkrieg" nennen, bleibt in Geheime Melodie eine Mitteilung, das Ereignis wird nicht gestaltet.
Geheime Melodie ist einer der besten Thriller dieses Herbstes und eines der schwächsten Bücher John le Carrés.
Alex Coutts
John le Carré: Geheime Melodie. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regine Rawlinson. List bei Ullstein, Berlin 2006, 415 S., 22,- ISBN: 3471795472