JUGEND

Späte Hippies

Verena Carl erzählt was über die 80er

Wenn das Buch beginnt, ist Heldin Lola schon erwachsen und besucht die Lesung eines Autors, der es zu lokaler Berühmtheit gebracht hat: Anton wird bereits weißhaarig und ist in Freiburg und um Freiburg herum eine frauenverschleißende Institution. Irgendwie Irgendwann hat zwar Lola als Heldin, deren Geschichte Anfang der 80er und mit dem 12. Lebensjahr einsetzt, damals, als Mama vorübergehend lesbisch war. Aber eigentlich handelt der Roman von Anton, blond, muskulös, einfühlsam und ein Herzensbrecher. Dass Mama mit ihm im Bett landet, sprengt prompt deren lesbische Beziehung (mit giftiger Hilfe der Tochter), Anton hingegen fängt eine Beziehung mit Mamas bester Freundin an, die ihren Mann verlässt und mit Anton ein Kind kriegt.

Das seltsame Liebes-Spiel der Erwachsenen sieht für Lola einerseits ziemlich peinlich aus, andererseits ist sie selbst unsterblich in Anton und dessen sanfte Stimme verliebt. Aufmerksam verfolgt Lola deshalb über die Jahre Antons wechselnde Stellungen in verschiedenen Betten. Für Anton hebt sich Lola ihre Jungfräulichkeit auf und will sich ihm an ihrem siebzehnten Geburtstag schenken, ganz wörtlich.

Während derlei pubertäre Sehnsuchtsromane meistens in Coolness versinken und vor fröhlichem Augenzwinkern geradezu nervös machen, nimmt Verena Carl (die in Freiburg aufwuchs und einige Kinderbücher geschrieben hat) die Probleme ihrer Heldin sehr ernst, ohne in Pathos zu verfallen. Es gibt beklemmend ernste Szenen, die vor allem mit der deutschen Gesamtneurose in den 80ern zu tun haben (wir werden alle sterben weil der Atomkrieg kommt). Einmal belauscht Lola ihre Mutter, die mit Freunden darüber redet, was wohl der schnellste Tod sei wenn die Bomben fallen und man besser den Kindern dann Zyankali gebe, damit sie nicht leiden, bevor man es dann auch selbst schluckt. Lola kontrolliert daraufhin wochenlang jeden Bissen, den ihre Mutter ihr reicht.

Aber genau diese bierernste Abgrundangst ist natürlich auch saukomisch. Wenn die Lesbengruppe sich zum "Schweigen für den Frieden" vor den Dom stellt (und dort von freundlichen Ami-Touristen geknippst wird) und wenn das Einkaufen beim Türken zum Politikum wird - wegen der Kurdenfrage. Da lächelt man mit der Autorin über den großen Ernst der Späthippies der 80er, die ihre privaten Probleme verkleinern (was sind schon Orgasmusschwierigkeiten angesichts des NATO-Doppelbeschluss'!) und vergrößern (wenn du mich willst, dann ist das Politik).

Derlei Lächeln wiederum ist billig zu haben. Das weiß auch Frau Carl. Die Art, wie sie ihre schnoddrige und schüchterne Heldin aus der Polit-Szene aussteigen und in den nächsten Schuhladen marschieren lässt, erklärt sehr schön den Einbruch des Tempo-Hedonismus in die Wirklichkeit und macht Lola keineswegs sympathisch.

Am Ende heiratet Mama einen Spießer, verliert sich die lesbische Freundin im Schweigen und schreibt Anton ein Buch nach dem anderen, jedes von einer anderen Verlegerin herausgebracht, die er um den Finger wickelt. Und als Lola als erwachsene Frau seine Lesung besucht, überlegt sie, Antons Sohn zu verführen. Irgendwie Irgendwann trägt keine großen Inhalte vor sich her. Verena Carl erzählt ihre Geschichte ruhig, unaufgeregt, mit bisweilen trockenen Witz und nie mit zu großer Geste. Einmal schreibt sie: Es war die Zeit, als im Radio ein Song lief, der uns erklärte, dass es keinen Krieg geben werde, wenn die Russen ihre Kinder so lieben würden wie wir.

In diesem Zusammenhang ist dieser Gedanke nicht ohne Bosheit.

Victor Lachner
Verena Carl: Irgendwie Irgendwann. Eichborn, Frankfurt 2008, 300 S., 14,95