AUSTRALIEN
Tin Men Die Geschichte des australischen Banditen Ned Kelly Australien ist ein unwirtlicher Kontinent mit einer unwirtlichen Geschichte. Von den Engländern als Strafkolonie genutzt, fanden sich im 19. Jahrhundert alle Englisch-Irischen Konflikte in Australien wieder, Reich gegen Arm, Protestanten gegen Papisten. Ned Kelly, fest verwoben in der australischen Volksmythologie, ist ein sonderbarer Held. Sein irischer Vater saß unter den Engländern in Knast (kann aber auch ein Verräter gewesen sein), die irisch-australische Mutter gehörte zum Kleingauner-Adel Australiens. Die Hälfte der Verwandtschaft sitzt ständig im Knast wegen Diebstahl, Prügelei, Brandstiftung. Das von den Engländern ausgeübte Justiz- und Polizeisystem dürfte von den irisch-stämmigen Australiern als besonders ungerecht empfunden worden sein. Zumal die australische Klassengesellschaft sich ziemlich strikt an den Ethnien entlangbewegte: Reich waren die Engländer, arm die Iren. Der australische Autor Peter Carey hat über Ned Kelly einen Roman aus der Perspektive des Banditen geschrieben. Er schreibt für seine damals in San Francisco geborene Tochter die Geschichte seines Werdens auf: Drangsaliert von den Engländern, von der Mutter in die Lehre geschickt bei einem berühmten Busch-Banditen, wird Kelly eher durch die Dreistigkeit der Polizei zum Banditen und Mörder. Mehr als die Hälfte schildert Carey die harte und oftmals unübersichtliche Jugend Kellys, die ihn zu einer Mischung aus Robin Hood und Jesse James werden läßt. Als er sich endlich mit seiner Gauner-Existenz abgefunden hat, neigt er zum Bizarren: In drolligen Verkleidungen besetzt er eine Kleinstadt für ein ganzes Wochenende, für seine Männer schmiedet er Blechrüstungen (inklusive Helm). Bei den Landarbeitern ist er beliebt, der Staat läßt ihn mit hunderten von Polizisten jagen. In einer großen Schlacht - anders kann man das nicht nennen - wird die Kelly-Bande aufgerieben. Für uns Nicht-Australier sind die inneren Monolge Kellys und seine Diskussionen mit Weib und Anhang manchmal etwas ermüdend. Für Carey und seine Landsleute ist dieser Roman, der ohne jedes Komma auskommt und in der sprachlichen Gestaltung nicht immer konsequent ist, ein sicherlich spannendes Experiment, sich in die schlichte und gleichermaßen rachsüchtige Psyche des Volkshelden hineinzuversetzen. Den größten Teil leisten dabei Careys großartige Landschaftsbeschreibungen. Denn die Geschichte der irischen Blechmänner ist ohne das extreme Klima und das raue Land wohl nicht denkbar. Alex Coutts
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Peter Carey: Die wahre Geschichte von Ned Kelly und seiner Gang Aus dem Englischen von Regie Rawlinson und Angela Schumitz. S. Fischer, Frankfurt 2002, 447 S., 22,90 EU |