SIZILIEN

Aus tiefstem Herzen

Andrea Camilleri und seine ironische Liebe zu seiner Geburts-Insel

Die Form des Wassers ist immer die, die man ihm gibt. Deshalb darf Kommissar Montalbano in seinem ersten Fall auch Beweismittel in großen Mengen verschwinden lassen. Um die Unschuldigen zu beschützen und die Schuldigen - nein, nicht zu bestrafen, der Roman spielt in Sizilien - nervös zu machen. Der Roman ist - auch - eine große Verbeugung vor seinem Kollegen und Landsmann Sciascia, der einmal ausdrücklich zitiert wird und viel über Gerechtigkeit und Wahrheit in Sizilien nachgedacht hat.
Im Gegensatz zu den verdrechselt-versnobten Italien-Krimis der Donna Leon, herrschen hier vorwiegend solides Schreibhandwerk und süditalienische Hitze: Ein Mann wird mit offener Hose und kaputtem Herzen in seinem teuren Auto gefunden, das auf einem stadtbekannten Hurentreffpunkt abgestellt wurde. Wie das alles recht nett den Zustand des Landes 1995 widerspiegelt und dass Rechtschaffenheit in Sizilien ganz etwas anderes bedeutet als anderswo: das beschreibt Camilleri in seiner wundervoll kargen und direkten Sprache. Hier gibt es keine auslandenden Landschaftsbeschreibungen oder lange Gemütsanalysen. Wenn der Commissario wütend ist, droht er seinem Untergebenen schon mal damit, ihm eins in die Fresse zu hauen. Und eine sehr schöne blonde Frau mit großem Männerverschleiß wäre bei fast allen Krimiautoren und -autorinnen wenn nicht die Schuldige, so doch eine, die bestraft werden muß. In Camilleris kluger Sicht der Dinge gerät sie ganz mühelos zum unschuldigsten Wesen in der ganzen Geschichte. Und es bedarf schon eines "viertklassigen Gottes" wie Montalbano (seine Freundin nennt ihn spöttisch einmal so), um diese Unschuld zu retten.
Wenn Krimis zur Selbstjustiz raten, tun sie das meist immer noch in der ballergeilen Form des Mickey Spillane. Das ist langweilig. Bei Camilleri ist Gerechtigkeit eine Frage des Handelns, nicht der Gesetze. Wahrscheinlich muß man, wie der Autor, Sizilianer sein, um das aus tiefstem Herzen zu wissen.
In seinem neuen Roman Die Mühlen des Herrn hat Camilleri eine Notiz aus dem 19. Jahrhundert zu einer Farce ausgebaut: ein Mühleninspektor kommt 1877 nach Sizilien, seine beiden Vorgänger wurden ermordet. Der Mann ist korrekt, mutig und unduldsam. Schon bald stellt er fest, dass die Bauern der Region ein sehr effektives Netz der Korruption nutzen, um die verhasste Mühlensteuer zu umgehen. Und er stellt fest, dass hinter all dem der reichste Mann des Ortes steckt. Das braucht so seine 100 Seiten. Und dann zitiert Camilleri nur noch Briefe, die zwischen den Behörden und den Honoratioren hin und her gehen. Und wir erleben die Geburt einer großartige Intrige, die den Mühleninspektor zu Fall und ihn bei seinen Vorgesetzten unmöglich machen soll.
Aber etwas geht schief. Die Beweise, die der brave Beamte inzwischen gesammelt hat, sind nicht ohne weiteres aus der Welt zu schaffen. Jetzt passiert ein Mord. Und der Inspektor stolpert abends in der Haustür über eine Leiche. Jetzt ist er erledigt, und weil er ein kluger Mann ist, verliert der Inspektor darüber vorübergehend den Verstand; er erkennt, wie genial diese Falle für ihn aufgestellt wurde: die heißblütige junge Witwe, mit der die ganze Oberschicht der Stadt geschlafen hat (nur der Inspektor nicht), ist plötzlich verschwunden. Der Mord sieht nach einer Eifersuchtstat aus.
Camilleri ist ein grimmiger Humorist. Deshalb hält er die Welt nicht für vollkommen verkommen. Und deshalb hat seine Farce ein gutes Ende. Jedenfalls für sizilianische Verhältnisse. In der historischen Notiz, die er zitiert, ging die Sache für den Mühleninspektor nicht so gut aus.
Victor Lachner
Andrea Camilleri: Die Form des Wassers. Commissario Montalbano denkt nach. Aus dem Italienischen von Scharazad Assemi. editionLübbe im Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 1999. 247 S., 32,- DM
Andrea Camilleri: Die Mühlen des Herrn. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Wagenbach, Berlin 2000, 220 S., 34,- DM