GESCHICHTE

Die Tricks des Cagliostro

Die Aufklärung als Medicine Show

1789 war ein wichtiges Jahr für die Moderne. Dass in Paris das Volk das Stadtgefängnis stürmte, lernt man in der Schule. Dass in Rom ein gewisser Giuseppe Balsamo ins päpstliche Inquisitionsgefängnis kommt, ist weniger geläufig. Ein paar Bücher und Filme haben immerhin verbreitet, dass dieser Balsamo unter dem Namen "Graf Cagliostro" das 18. Jahrhundert unsicher machte, die Fürstenhöfe mit Alchemie und Hokuspokus bezauberte, Polizeipräfekten mit gefälschten Wechseln verärgerte und dem Volk mit Pomp und Witz eine gute Show bot.
Michael Schneider erzählt uns nun überaus ausführlich, dass Balsamo wohl weit mehr war als nur ein Promi-Hype am Ende des ständischen Europa. Und er erzählt das Abenteuergarn im Einzelnen so traditionell herunter, dass kaum auffällt, wie wenig traditionell Cagliostro im Großen und Ganzen auftritt.
Es beginnt vor Gericht. Der Inquisitor klagt Cagliostro wegen Gotteslästerei und dergleichen Missetaten an, führt Verhöre, studiert Akten, erinnert sich an seine lange Jagd und organisiert so geschickt die Nacherzählung des Lebens des Balsamo.
Geboren in armen Verhältnissen, gerät er schon früh mit der Kirche aneinander, teils weil er Wunder als faulen Zauber durchschaut, teils weil er keusche Mönche nicht mag, die Klosterschüler gar zu lieb haben. Balsamo wird ein fingerfertiger Straßenjunge mit dehnbarer Moral und gesundem Menschenverstand. Er lernt Kartentricks und Unterschriften-Fälschen, er arbeitet sich vom Apothekergehilfen zur Zugnummer eines Wander-Arztes hoch. Und als er das Geheimnis des Gesundheitswesens erkannt hat, ist nur noch der Himmel die Grenze. Sein Motto: Betrüge stets so, dass dein Opfer dir dankt.
Balsamo "erfindet sich neu", wie es später amerikanische Aufsteiger tun, und er macht die Karriere des Jahrhunderts. Er steigt zum Chef einer Freimaurer-Loge auf und führt ein so öffentliches geheimes Leben, dass alle Zeitungen voll von Spekulationen über ihn sind. Derweil gründet er Volkskrankenhäuser, führt europaweit die kostenlose Behandlung Mittelloser ein und betreibt auf verschlungenen Wegen das Geschäft der Aufklärung, mal mit der Vorhersage von Lotto-Zahlen, mal mit politischen Flugblättern.
Hin und her springt Schneider durch die Zeiten und Quellen, immer darauf bedacht, uns zu zeigen, dass zwischen der Wahrheit und der Geschichte mindestens ein Erzähler steht. Mal berichtet Cagliostro selbst, mal einer seiner Gegner - und manchmal erzählt wohl der Autor, selbst seit der Jugend praktizierender Zauberer, wie man eine Münze verschwinden lässt oder einem Gefängniswärter vorspiegelt, man sei der Teufel selbst.
Cagliostro ist hier eher ein Eulenspiegel als ein Trick-Betrüger, mehr Robin Hood als Uri Geller, aber auch eher Paris Hilton als Mutter Theresa. Am Ende jedenfalls scheinen Napoleons Armeen Europa nur wegen Cagliostro zu durchqueren.
wing
Michael Schneider: Das Geheimnis des Cagliostro Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 703 S., 19,90