KÖPFE

Seelensuche in der Hardware

Brian Burrells »Im Museum der Gehirne« erzählt die Geschichte eines Irrtums

Descartes war sich ganz sicher: die Seele sitzt in der Zirbeldrüse. Denn wenn man ein Gehirn von oben beginnend aufschneidet, findet man genau zwischen den Hirnkammern jenes kleine Organ, das anscheinend Verbindung zu den Hirn-Hohlräumen (den Ventrikeln) hat. Die hielt man damals für den eigentlichen Ort des Denkens.
In Brian Burrels Buch geht es neben der Seelen-Suche um eine jahrhunderte alte Frage: läßt sich anhand der Schädelform oder der Hirngröße ablesen, was für ein Charakter, gar ein Genie darin steckt?
Unverdrossen sägten und bohrten sich Generationen von Wissenschaftlern durch Schädelplatten und legten Hirnpräarate an, wogen das Organ und untersuchten seine Windungen. Mal waren es die Furchen des Neokortex, die angeblich auf Intelligenz schließen ließen, mal das Verhältnis von "grauer" zu "weisser" Hirmasse.
Wurde anfangs das Gehirn mangels anderer technischer Möglichkeiten von oben aufgesägt und scheibchenweise präpariert, führten später andere Schnitt-Techniken zu ganz anderen Ergebnissen. Und erst neue Färbe-Techniken brachten die Forscher auf die Idee, dass vielleicht eher Zellverbünde für Denkleistungen zuständig sind als die Kurven und Ausprägungen jener Masse, die unpräpariert auf jedem Pathologen-Tisch nach Stunden schlaff in sich zusammenfällt.
Im Museum der Gehirne ist nicht nur faszinierend geschrieben, Burrell verbindet auch immer wieder Ideengeschichte und Forschung, technischen Fortschritt und späte Einsicht miteinander. Das Sammeln von Gehirnen, das Wühlen in der Hardware brachte niemals die Antwort auf die gestellte Frage, aber dabei lernten die Neurologen und heutigen Kognitionswissenschaftler eine Menge über das Gehirn und konnten es rudimentär kartieren. Die Förderung geistig behinderter Kinder schildert Burrel als indirekte Folge dieser seltsamen Seelen-Suche.
Daneben hat Burrel immer wieder Zeit für Anekdotisches. Er berichtet von jenem Institut, das einzig und allein gegründet wurde, um Lenins Hirn zu untersuchen (und das bis heute nichts Nennenswerte entdecken konnte). Amüsant ist auch das Kapitel über den großen US-Dichter Walt Whitman, der sein Hirn der Forschung spendete. Nach dem Tod des Dichters fiel sein Denk-Organ leider einem ungeschickten Pathologen aus den Händen.
Vom mechanistischen Weltbild à la Frankenstein ist heute so wenig übrig geblieben wie von der Lokalisationstheorie. Einem Schädel und einem Hirn sind, von offensichtlichen Beschädigungen abgesehen, bis heute nicht anzusehen, warum und wie sie zu Lebzeiten funktionierten. Einsteins Gehirn, dessen wechselvolle Geschichte Burrell ausführlich schildert, hat sich, trotz einiger Untersuchungen, als normal entpuppt.
Statt von der Form her aufs Innere zu schließen, wie es die frühen Phrenologen taten, sucht die Wissenschaft heute nach Orten im Gehirn, die Auskunft über unser Inneres geben. Mit jenen "neuen Phrenologen", die etwa eine Hirnstelle für Gottesglauben gefunden haben wollen, geht Burrell in einem mächtigen Nachwort hart ins Gericht.
Im Museum der Gehirne ist glänzend geschrieben und sehr gut aufgebaut. Auch wer sich anfangs nicht für das Thema interessierte, ist bald von Burrells lockerem, aber präzisem Erzählton gefesselt. Schade, dass das Buch einige Namens- und Datenfehler enthält.
Erich Sauer
Brian Burrell: Im Museum der Gehirne. Die Suche nach Geist in den Köpfen berühmter Menschen. Deutsch von Hainer Kober. Hoffmann & Campe, Hamburg 2005, 384 S., 24,- ISBN: 3455095216