ISLAM

Teestunde in Kurdistan

Jason Burke bereist seit Jahren islamische Länder

Und zwar seit den 90ern, seit er als junger Draufgänger unbedingt für die Kurden kämpfen wollte. Burke, heute Reporter des britischen Observer, erzählt selbst in seinem Vorwort, wie ahnungslos und selbstsicher er damals in eine Gegend reiste, von der er so gar nichts wusste.

Heute ist Burke offensichtlich in der islamischen Welt so zu Hause wie in seinem Londoner Club. Jedenfalls beschreibt er in Reise nach Kandahar seine vielen Aufenthalte seit den 90ern, also lange bevor der 9/11 die Stimmung verdarb. Er war in Pakistan, als ein junger General namens Muscharraf sich gerade an die Macht putschte. Er war in Kabul während der Taliban-Herrschaft und trank mit den Gotteskriegern ebenso Tee wie mit Massud, dem großen Gegenspieler, der kurz vor dem 9/11 ermordet wurde. Er war im Irak vor und nach dem letzten Krieg, er war in Thailand und im Gaza und er kann den arabischen vom asiatischen Islam unterscheiden. Reise nach Kandahar taugt nicht als Wegweiser durch die Fragen der Tagespolitik. Zu viel hat sich und zu schnell verändert. Aber wie man in einem unbekannten kulturellen Raum die richtigen Fragen stellt (und sich nicht mit schnellen Antworten zufrieden gibt), das ist hier schön zu lesen.

Burkes Reiseberichte hängen nicht zusammen, aber er verbindet die Kapitel recht elegant über die Länder und die Zeiten hinweg. Sein Aufenthalt in Afghanistan ist ohne den Besuch in Pakistan nicht zu verstehen. Er gibt keine altklugen Antworten auf Fragen wie "Ist der Islam eine friedfertige Religion?". Er weist lieber darauf hin, dass vor allem Gesellschaften im Umbruch sich radikalisieren. Und dass Religion dort identitätsstifend wirken, wo die tradierte Kultur bedroht wird - Bin Laden ist, nach Burke, erstens ein politisch schwer überschätzter Verbrecher und zweitens viel mehr Ausdruck der Globalisierung als eines angeblich sich radikalisierenden Islam.

Derlei Überlegungen werden hier nicht als papierne Theorie-Stunden abgehalten. Burkes Texte und Gedanken spielen immer in Landschaften. Er sieht die Schönheit von Kabul und die staubigen Straßen von Kandahar. Und er denkt dabei an eine Muslimin, die in Pakistan als "Hexe" verbrannt worden ist und dabei nur eine verwirrte Alte war, die der falschen Religionsgemeinschaft angehörte. Dass derlei Sprünge bei Burke nicht wie Theo Sommer klingen sondern eher der melancholischen Prosa eines Bruce Chatwin zuzuordnend sind (ohne deren Kraft je zu erreichen) - nun, dafür ist Burke Engländer. Und einer, der eine Teestunde bei den Peschmerga beschreiben kann wie eine Mischung aus Karl May und Peter Scholl-Latour.

Erich Sauer
Jason Burke: Reise nach Kandahar. Unterwegs in den Kriegsgebieten der islamischen Welt. Aus dem Englischen von Rita Seuß. Patmos 2007, 319 S., 24,90