JOHN BRUNNER

Ein falscher Prophet?

Vor 25 Jahren erschien »Schafe blicken auf«

Wer die SF aus falschen Gründen liebt, betont gerne, wie viel von SF-Autoren richtig vorausgesagt worden sei; als wäre die Literatur dafür da, die Technik voranzubringen! Wer die SF aus falschen Gründen haßt, betont gerne, wie viele der SF-Prophezeihungen falsch waren; als ob der Wert einer Literatur davon abhinge, daß sie den Preisverfall von Mikrochips vorauszusagen imstande sei!
Beide Parteien dürfen sich heftig balgen um einen der - wir sind sonst vorsichtig damit, aber hier trifft's: - Meilensteine der SF-Literatur, John Brunner Öko-SF-Roman Schafe blicken auf, ein Roman, dessen materielle, überprüfbaren Voraussagen überwiegend falsch waren, der aber trotzdem die Zukunft genauer beschrieb als es jedem anderen Autor Anfang der 70er möglich war. Weil er Wert auf Zusammenhänge legte, auf Kausalitätsketten. Und da kann ein Erdbeben in den USA dazu führen, daß in Afrika ein Dorf wahnsinnig wird, ein Fliegenfänger im Zimmer kann zum Tode führen, und was die Gesetze der Natur nicht schaffen, besorgen sich die Menschen gegenseitig: Mord und Totschlag aus Profitgier und Idealismus; in keinem mir bekannten Roman sterben so viele Hauptpersonen einen sinnlosen Tod wie hier.
Was Brunner nicht sehen konnte: den Aufstieg des Personal-Computers; das Elend in Afrika; die Macht der Presse. Was er gesehen hat: Die Sehnsucht in der globalisierten Welt nach einem Stück Heimat und dem daraus folgenden Drang nach Seperation; der Bereitschaft, irgendwelchen Gurus zu folgen; die zunehmende Verblödung politischer Entscheidungsträger (sein Präsident "Prexy" ist dem 10 Jahre später folgenden Reagan wie aus dem Gsicht geschnitten).
Weil niemand sich zuständig fühlt, läuft alles auf den Abgrund zu; vieles, was Brunner kommen sah, ist auf der Umweltkonferenz von Rio zur Sprache gekommen und dort auch nicht gelöst worden.
Ein netter Gag ist die Idee, die Produktion ökologisch unbedenklicher Nahrungsmittel liege fest in der Hand der Mafia. Jeder, der den angeblich so naturnahen Anbau der Ökoprodukte untersuchen will, stirbt einen gewaltsamen Tod.
Am Ende flüchtet ein namenloser Held (wir vermuten aber ziemlich präzise, um wen es sich dabei handelt) nach Kanada, im Rücken die buchstäblich brennenden USA. 1972 sah Brunner keine Hoffnung. Daß sein Buch nicht die Anerkennung erfuhr, die es verdient hätte (auch formal ist Schafe blicken auf ein Muster-Roman der SF: klug komponiert, knapp gehalten und von beängstigender Schlüssigkeit), dürfte ihn in seiner Hoffnungslosigkeit betärkt haben. Brunners Phase als politischer SF-Autor war kurz danach auch beendet.
Alex Coutts
John Brunner: Schafe blicken auf Aus dem Englischen von Horst Pukallus. Heyne Nr. 8003, München 1997 (Neuauflage), 526 S., 19,90 DM