FAMILIE Mama-Monster Russische Mütter sind so anstrengend wie deutsche Es dauert eine Weile, bis die Familie in Alina Bronskys neuem Roman in Deutschland angekommen ist. Aber spätestens dann wird man das Gefühl nicht los, dass, wie schon in ihrem Debut-Roman Scherbenpark, die in Jekaterinenburg geborene Autorin viel von ihrer eigenen Geschichte hat einfließen lassen. Der Roman allerdings wird aus der Sicht der Großmutter erzählt, einer russisch-tartarischen Super-Mama, der man besser nicht in die Quere kommt. Sie wird das Glück ihrer Tochter und ihrer Enkelin zerstören. Als die aus dem russischen Elend nach Israel auswandern könnten, verhindert Oma das eiskalt. Sie wird die Enkelin Aminat (die im Geburtsjahr der Autorin zur Welt kommt) an einen deutschen Pädophilen verscherbeln, um so die Einwanderung zu erreichen. In Deutschland angekommen, übernimmt Mama/ Oma in einer Mischung aus Putzdienst und Hobby-Prostitution das Kommando und ernährt die Familie. Die schärfsten Gerichte der tartarischen Küche ist ein boshafter und witziger Schelmenroman, erzählt im naiv-bedrohlichen Tonfall des Mama-Monsters. Es dauert eine Weile, bis der Leser merkt, dass er der subjektiven Erzählweise auf den Leim gegangen ist und die Tochter Sulfia keineswegs blöd ist, die Enkelin keineswegs der Oma ergeben und überhaupt das ganze Leben ganz anders aussieht als die erzählende Oma behauptet. So schwankt der Leser zwischen Amusement und Entsetzen. Denn so drollig die Fehleinschätzungen der Protagonistin seien mögen, sie ist in ihrer mütterlichen Selbstgerechtigkeit stets brandgefährlich. "Es sind schon wegen meiner Blicke ganz andere Leute aus dem Fenster gesprungen", sagt sie einmal nebenbei. Ebenso nebenbei erwähnt sie einen Bruder, der eines Tages aus dem 12. Stock gesprungen sei. Niemand weiß, warum. Oma endet schließlich halb dement in einem Fieberwahn, der ihr ein Glück vorgaukelt, das sie im Leben nie erreichte. Zu sehr war sie damit beschäftigt, das Leben der Anderen in Ordnung zu bringen. Victor Lachner
Alina Bronsky: Die schärfsten Gerichte der tartarischen Küche. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 319 S., 18,95
|