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Kishon in Gaza Henryk M. Broders »Die Irren von Zion« Kurz nach seinem 30. Geburtstag hatte der Journalist Henryk M. Broder eine echte Sinnkrise. Er schrieb damals das Buch Danke schön. Bis hierher und nicht weiter, worin der Rest der Welt erfuhr, daß er es leid sei, sich mit der politischen Un-Kultur dieses Deutsch-Landes herumzuschlagen, mit alten Nazi-Richtern, dienstbeflissenen Polizisten, sturen Bürokraten und verlogenen Politikern. Broder wanderte nach Israel aus, brach alle Kontakte zu seinen linken Freunden weitgehend ab - und ist heute, knapp 20 Jahre später ein gern gesehener Talkshowgast im deutschen Fernsehen und regelmäßiger Autor im "Spiegel", wo sein alter Kumpel Stefan Aust inzwischen Chefredakteur ist. Entweder müssen sich also die Verhältnisse in Deutschland seit 1980 enorm verbessert haben (damals war Kohl gerademal Oppositionsführer und Strauß Kanzlerkandidat), oder Broder hatte das nicht so gemeint mit seiner Enttäuschung. Vielleicht hat er sich inzwischen auch nur seinen - damals sarkastischen - Satz über Deutschland und die Deutschen zu Herzen genommen: "Anstatt zu versuchen, die Verhältnisse zu ändern, ist es deswegen vernünftiger, seine Einstellung zu diesen Verhältnissen zu ändern, sich ihnen sozusagen positiv-pragmatisch anzunähern."; von einem, der sein Geld als "Spiegel"- Autor verdient, möchte man doch annehmen, daß er sich den Verhältnissen inzwischen "positiv-pragmatisch" nähert. Wer's im "Spiegel" nicht glaubt, kann jetzt Broders Aufsatzsammlung Die Irren von Zion lesen, eines der dünnsten Bücher, die je über den Nahost-Konflikt erschienen. Zwischen launiger Volkscharakterbeschreibung (alle Israelis sind Egomanen), hämischer Denunziation (eine richtig rechte Siedlersfrau hat natürlich "Megabrüste") und einigen Interviews soll der Band eine Art Momentaufnahme des Lebens in Israel "nach Oslo" sein: wie lebt es sich mit einem Friedensabkommen, an das niemand mehr glaubt und das von der eigenen Regierung permanent torpediert wird? - nicht anders als vorher! ist die launige Antwort, die man sich allerdings aus den Textteilen zusammenklauben muß, da Broder jede direkte Positionierung vermeidet und Sympathie nur dadurch erkennen läßt, ob er sein Gegenüber beschreibt. Zitiert er einfach, was er gerade hört, scheint er zuzustimmen. Ist er anderer Meinung, gibt es eine kurze, boshafte Personenbeschreibung ("eine Mischung aus Inge Meisel und Bette Midler"). Sowas lernt man bei "Spiegel", und manchmal ist es ja ganz lustig zu lesen. Ob aber eine Schreibhaltung à la "Kishon goes Gaza" dem Thema angemessen ist (vor allem, wenn man nicht schreiben kann wie Kishon...) - das ist eine Frage, die man sich nie stellen darf, wenn man die Dinge "positiv-pragmatisch" angehen will. Und etwa an die nächste Honorarabrechnung denkt. Erich Sauer
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Henryk M. Broder: Die Irren von Zion Hoffmann & Campe 1998, 288 S., 39,80 DM |