EVOLUTION
An offener Flamme Warum wir fürs moderne Leben nicht taugen Jürgen Brater hat sich sein Zahnarztstudium in Heimarbeit verdient, was wir uns lieber nicht so genau vorstellen möchten. Später entdeckte er neue Verdienstmöglichkeiten und zog mit populären Lexika über dumme Redensarten, Sexirrtümer oder Körpervorgänge gleich kiloweise eingewachsene Zähne aus dem Volksglauben (Bier macht nicht dick, auch Tiere sind schwul). Das war alles nicht richtig falsch, aber auch nicht seriöser als eine Schlau-Schau im Privat-TV. Jetzt behauptet Brater frech Wir sind alle Neandertaler. Unfug. Kein Mensch stammt vom Neandertaler ab, was Brater auch zugibt. Er sucht nur eine populäre Marke, um darunter allerlei Lesefrüchte zu sammeln, die den Untertitel seines erfreulich schmalen Buches stützen: Warum der Mensch nicht in die moderne Welt passt. Brater ist weder Wissenschaftler noch Kulturpessimist. Er findet es nur lustig, dass eine offene Flamme heute noch gemütlicher wirkt als eine Zentralheizung, dass mehr Leute Angst vor Spinnen haben als vor Geisterfahrern, kurz: dass moderne Grundreaktionen scheinbar nach längst unangemessenen Mustern ablaufen. Ach je, man möchte nicht zu Parties eingeladen werden, auf denen derlei als Erkenntnis versmalltalkt wird. Andererseits hat Brater auch neue Gedanken eingesammelt. Etwa: Moderne Krankheiten wie Depression oder das ADS-Syndrom gelten vielen Anthropologen als Reste alter Überlebensstrategien. Oder: Die weltweit steigenden Hautkrebs-Fälle könnten nicht nur an zu wenig Ozonschicht liegen, sondern auch an zu viel Indoor-Leben. Und bei allem Unsinn, den Brater so dahin parliert (Männer grillen gern, weil Großvater Neandertaler das Feuer zähmte), freut einen doch, dass er immer wieder die Fahne der Evolution hoch hält. Gerade weil die Evolution funktioniert, schleppen entwickelte Wesen Relikte mit sich rum. WING
Jürgen Brater: Wir sind alle Neandertaler. Warum der Mensch nicht in die moderne Welt passt. Eichborn, Frankfurt 2007, 224 S., 19,90 |