NATUR Kampf ums Paradies T.C. Boyles apokalyptischer Umwelt-Krieg »Wenn das Schlachten vorbei ist« Am Anfang gibt es einen Schiffbruch. Und dann gleich noch einen, bloß Jahrzehnte zuvor. So führt Thomas Coraghessan Boyle in seinem 13. Buch Thema und Methode am packenden Einzelfall vor: Den großen Untergang hinter allem einerseits, denn 460 Seiten später ist die Welt nicht mehr so, wie wir sie kennen und alles Überleben ist nur Schein. Die faktenwütige Aufmerksamkeit andererseits für den platt geschlagenen Zahn am Kronkorken einer Bierflasche, denn eine Schiffbrüchige überlebt nur, weil eine Kühlbox ihr Auftrieb gibt. Kaum 60 Seiten später hat die Enkelin der Überlebenden auch eine Art Schiffbruch, als ihre Informationsveranstaltung zu ökologisch wertvollen Ratten-Vergiftungsmaßnahmen zum Eklat gerät. Ein randalierender Extrem-Biot wirft ihr Nazi-Methoden im Umgang mit der Natur vor. Die Ratten, die mit dem zweiten Schiffbruch im 19. Jahrhundert auf die abgelegene, unbewohnte Inselgruppe vor der Küste Kaliforniens kamen, gelten mittlerweile als Bedrohung seltener Seevögel und sollen weg. Ausgerechnet ein unsympathischer Rüpel, der noch dazu nichts von Wissenschaft versteht, aber als Geschäftsmann erfolgreich war, will die Ratten retten. Damit der symbolische Kampf zwischen Angriff und Abwehr, Steuern und in Ruhe lassen nicht zu schematisch wird, verteilt Boyle die Karten unfair. Jede Haltung jeder Figur entsteht aus vielen kleinen Szenen und bisweilen langen inneren Monologen immer etwas schräg zum Naheliegenden. Der querulante Bewahrer verteidigt eine vom Menschen verursachte Schieflage (ohne Schiffe wären nie Ratten auf die Inseln gekommen) gegen menschliche Korrekturbemühungen und rettet sein Naturbewusstsein schließlich mit Hilfe chemischer Präparate, die Ratten gegen übliche Gifte immunisieren. Gleichzeitig wird er in vielen, fast kurzgeschichtenartigen Episoden, zum richtigen Menschen, an dem mehr interessiert, wer er ist, als ob er damit recht hat. Die Biologin fängt auf der Sympathieseite an, schon weil sie mit der ersten Schiffbrüchigen des Buches verwandt ist, und Durchbeißen gegen Widerstände sozusagen im Blut hat. Dann rettet sie schließlich hübsche Vögel vor fiesem Getier, und dass sie dabei auch mal zu Photoshop greift, macht anfangs nur fast unauffällige Flecken auf ihrem Charakter. So lädt sich der dumme Konflikt zwischen "Wiederherstellung" und "Bewahrung" schnell auf mit der Frage, ob es überhaupt ein "zurück" geben kann, ob nicht jeder Zustand der Welt sein eigenes Recht auf Überleben hat, und ob sich irgendein Eingriff auf mehr als eigene Interessen stützen kann. Zum Glück diskutiert das Boyle nicht und schickt seine Figuren nicht zum philosophischen Berater. Er schreibt nur, in vollen Zügen und mit überwältigendem Detailreichtum, vom Krieg ums Paradies. Wobei unklar bleibt, ob das Paradies eine Insel ist, auf der die zufällig hineingeratenen Ratten am Ende ihre eigene Nahrungsgrundlage auffressen werden. Wing
T.C. Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. München, Hanser 2012, 461 S., 22,90
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