DROGEN
Scharf auf Bräute
T.C. Boyles Hippie-Roman »Drop City«
Alles ist hip, groovy und locker. Hier ein Peace-Sign, dort ein Joint - für die Bewohner der kalifornischen Hippie-Kommune "Drop City" steht das Jahr 1970 ganz im Zeichen von Freier Liebe und Dauerbenebelung. Probleme lösen sich im zunehmenden Haschrauch auf, wenigstens in der Wahrnehmung. Aber wehe, wenn man runter kommt. Dann streckt einen der Alltag im harmlosen Fall mit Abwasch und Toilettenhygiene, im schlimmsten Fall mit Vergewaltigung und Lebensmittelvergiftung nieder.
Tom Coraghessan Boyle kann ein Buch darüber schreiben, weil er selbst lange Zeit als Hippie gelebt hat. Schon in seinem Roman Grün ist die Hoffnung (1984) streifte er bereits das Thema, in seinem neuen Werk Drop City liefert er eine profunde Exegese einer Liebe-Freude-Reispampe-Generation. "Ich habe diese Zeit durchlebt. Sie formte meine Weltanschauung", sagt der 55jährige Schriftsteller, der nebenbei einen Lehrauftrag für "Kreatives Schreiben" an der University of Southern California hat. "Ich wollte nicht die Moral der Hippies verwerfen oder kritisieren, ich wollte sie realistisch darstellen, ohne der Nostalgie zu verfallen. Das ist ein historischer Roman."
In dem ausufernden, dennoch herrlich lebendigen Buch wimmelt es von Figuren, die genauso sympathisch wie zwiespältig wirken: Star, das verträumte Blumenmädchen mit Hang zu LSD und zum Ziegenmelken; Ronnie, der jugendliche Draufgänger, der am Hippie-Dasein das unbeschwerte Vögeln und Kiffen schätzt - und Marco, der patente Naturbursche, der im Buddeln der neuen Kanalisation größte Erfüllung findet. Star war früher mit Ronnie zusammen. Jetzt schläft sie mit Marco im Baumhaus. Ronnie findet das hip - was ihn allerdings nicht davon abhält, das monogame Pärchen misstrauisch zu beäugen.
Die unterschwelligen Konflikte kommen zum offenen Ausbruch, als die Kommune nach Alaska umziehen muß. Fleischesser giften gegen Vegetarier, Feministen gegen Sexisten und Ideologen gegen Mitläufer. Nur mit Hilfe der amüsierten einheimischen Trapper gelingt der naiven Truppe ein ums andere Mal das Überleben. Freilich nicht zum Selbstzweck: Die rauen Männer schätzen die Gesellschaft der Bräute.
Blauäugig, das war auch Boyle damals. "Ich habe gar nicht richtig über die Kultur nachgedacht", erinnert er sich heute. "Bei mir war es wie bei Ronnie im Buch. Ich war wegen der Stimmung, der Musik und der Drogen dabei." Nach einer fast tödlichen Kollision mit diversen Rauschmitteln wandte Boyle sich 1972 der Literatur zu. Er wechselte auf die University of Iowa. Dort unterrichteten ihn Schriftsteller wie John Irving im kreativen Schreiben und ermunterten ihren Novizen, sich mal an einem Roman zu versuchen. So entstand Wassermusik (1981) - die hanebüchene Geschichte um den schottischen Entdecker der Niger-Quelle, Mungo Park. Seitdem schreibt Boyle wie der Teufel - neun Romane und einige Erzählbände liegen inzwischen vor.
"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich mich wertlos", sagt Boyle. "Ich fühle mich nicht als Ganzes. Meine Zeit ist begrenzt - und die Arbeit ist wichtig, um sie auszufüllen." Ob es ein Motto für sein Opus gibt? "Ich wurde einmal von einem französischen Journalisten danach gefragt, während ein alter Freund von mir anwesend war. Der Journalist begann gerade einige Motive zu nennen die Suche nach dem Vater, Feminismus, Rassismus, als mein Freund ihn unterbrach und erklärte: 'Das ist Nonsens! Bei T.C. geht es um Scheisse und Tod'. So wurde ich dann später mit einer dicken Überschrift in Französisch belohnt: Boyle - La Merde et le Mort."
Ulf Lippitz
|