ISLAND Gedichte aus Ichland »Der Botschafter« handelt von nordischen Mänteln und lyrischen Egos Dieses Buch ist ein langes Gedicht im freien Vers. So steht es jedenfalls auf der Titelseite. Gleich dahinter steht ein kurzer Auszug aus einem Gedicht im erkennbar lyrischen Zeilenumbruch, das angeblich ein gewisser Sturla Jón auf dem Umweg über das Englische aus dem Weißrussischen einer Lilya Boguinskaja ins Isländische übersetzt hat. "Wenn wir dann an der Bar sitzen", heißt es darin, "wissen wir beide nicht mehr, welche Worte wir wählten - was sie in der Sprache des anderen bedeuteten." Darum geht es. Schließlich ist Sturla Jón die Hauptperson des Buches, mit dem Bragi Olafsson, der ehemalige Bassist der Sugarcubes, auf dem Sprung zum Nationaldichter Islands ist. Auch wenn es meist in Litauen spielt und unter anderem davon handelt, wie Sturla Jo es schreibt. Ist das verwirrend genug? Man muss wohl so rätselhaft ins Buch locken, weil der Klappentext ("Ein unterhaltsamer und tiefsinniger Roman über den Mut zur Lücke und die vielen Wege zum Glück") auf den ersten 100 Seiten an der schieren Zähigkeit der Erzählung und Winzigkeit des Plots zerbricht. Seitenlang kauft sich der Dichter aus Island einen Mantel, offensichtlich eine Identitätsverpackung, und immer wieder verzweifelt er an der "Ehre", sein Land bei einem Literaturfestival in einem anderen Land zu vertreten, von dem die große Literatur auch nichts weiß. Ruhmsucht in Wartehallen, schrebergärtnerische Pusseligkeit am nördlichen Rand der wirklichen Welt - das sind so Künstlerprobleme von der Wucht eines Plastikkaffebechers oder eines geklauten Mantels. Dass Sturla einen Mantel zurückklaut, dass der einem Sponsor des Festivals gehört, dass in der Heimat Sturlas Werk als Plagiat der Werke eines früh verstorbenen Cousins angeklagt werden, dass Sturla unter falschem Namen in einer Pension absteigt und schließlich Lilyia Boguinskaja nach Weissrussland nachreist à derlei Wirrungen werden erst wirklich wirksam, wenn man sie als eine Art No-Theater über Fragen der Identität liest. "Das muss ich sein" sagt eine Figur in Olafssons früherem Roman "Die Haustiere", als es schon wieder an der Tür klopft. "Es fällt mir sonst niemand mehr ein, der auf dem Weg hierher sein könnte." Der Hinweis im ersten Kapitel, dass die Uni Reykjavik einen Spielsalon zur Finanzierung ihrer Bildungsaufgaben betreibt, könnte aber auch ganz praktische Folgen für den Rest der Welt haben. wing
Bragi Olafsson: Der Botschafter Aus dem Isländischen von Tina Flecken. S. Fischer, 288 Seiten, 19,95
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