FANTASY

Elfen unter Strom

Tad Williams veranstaltet ein 9/11 in seinem »Blumenkrieg«

So etwa in der Mitte, nach 400 Seiten, fliegen Drachen in die höchsten Türme des Reichs, bringen sie zum Einsturz und entfesseln einen blutigen Bürger-Krieg im Elfenland. Tad Williams, sonst Autor mindestens vier mal so langer Roman-Reihen und zuletzt mit dem monumentalen SF/Fantasy/Computer-Spiel-Schmöker Otherland (gerade neu als Hörbuch) berühmt geworden, entschuldigt sich im Vorwort für den Anklang an das WTC-Desaster und den folgenden echten "Krieg". Die Schlüsselszenen für Der Blumenkrieg seien schon 2000 fertig gewesen, die deutlichsten Parallelen habe er sogar wieder aus seiner Fabel heraus geschrieben. Trotzdem handelt sie noch immer von einer Energiekrise und verschiedenen Wegen, mit ihr fertig zu werden.
Und sie beginnt, für Fantasy-Romane ungewöhnlich, mit einer Fehlgeburt der Geliebten des Helden und dem Krebs-Tod seiner Mutter. Theo Vilmos, dreissig, und sogar als Sänger in seiner Garagenband ein Loser, steht vor den Trümmern seines Lebens. Wenn da nicht dieses seltsame Tagebuch eines verschollenen Onkels wäre. Das berichtet von einer fantastischen Reise in ein fernes Märchenreich. Aber bevor Theo es richtig lesen kann, kommt ein Monster, um ihn zu zerfleischen. Und eine winzige Fee, um ihn zu retten. "Nenn mich nicht Glöckchen" faucht das spannenlange "G!rrl", schleppt Theo in die Elfen-Dimension herüber (nicht "hinüber", aber mehr wird nicht verraten) und mitten in politische Querelen zwischen den dort herrschenden Familien des Blumen-Adels und einer Untergrund-Bewegung.
Lange liest sich das hauptsächlich schnurrig, wie Harry Potter für Ü30er. Das Elfenland ist früh-industriell-magisch. Es gibt Fernseher, Handys, Eisenbahnen, Streiks in der Magie-Fabrik, unterdrückte Vorstadt-Goblins und pittoreske Ausländerfeindlichkeit Menschen gegenüber. Aber dann wird es wieder todernst.
Natürlich ist Theo ein verlorener Prinz, und natürlich ist die Musik der Goblin-Outcasts der Schlüssel zur Lösung - Tad Williams beherrscht alle Standards des Genres perfekt. Aber der 1957 geborene Autor verwendet sie "post-adoleszent": dem Jungens-Kitsch gleichzeitig misstrauend und nachtrauernd, anspielungsreich aber nicht klugscheisserisch, und wenn die Konstruktion der Story einer spannenden Szene im Wege steht, dann druckt er lieber die Legende. Diesmal in einem Band, wohl damit endlich mal jemand die Filmrechte kauft.
WING
Tad Williams: Der Blumenkrieg. Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring. Klett-Cotta, Stuttgart 2004, 805 S., 26,50 ISBN: 3608933565