LEBEN Die Welt als Bluff Manfred Lütz will alle in den Himmel locken Der Autor ist ein netter Mann, von fröhlichem Gemüt und nicht nur praktizierender Psychiater sondern auch die Kamellenkanone Gottes. Als solche hat er mit "Irre" und "Gott" schon zwei Bestseller zu Beruf und Hobby gecschrieben, die bei der Kritik als nicht ganz falsch und immerhin amüsant durchgingen. Das neue Buch soll jetzt aber endlich zum wahren Jakob vorstoßen. Lütz beschreibt das moderne Leben als "Truman Show", als voll gefälschtes Drumherum, in dem Träume vom echten, eigentlichen Leben nur simuliert werden. Das Gewese um beruflichen Erfolg, Medienprominenz, die Herbstmeisterschaft oder den Nobelpreis, die Sinnversprechen von Diät- oder Finanzberatern, Wissenschaftlern und anderen Wahrheits-Predigern entpuppen sich bei seinem Rundumschlag allesamt als Kulissen, als falscher Film, der im Angesicht der eigenen Sterblichkeit oder der geliebten Frau oder eines schönen Sonnenuntergangs als eitel Tand erscheint. Und wer da eigentlich wen blufft, um wen von was eigentlich abzuhalten, wird auch nicht klar. Vor allem aber erschließt sich nicht, wieso das "eigentliche Gefühl" der existentiellen Erfahrung irgendwie wahrer und wesentlicher als ein Herzinfarkt beim Chanson Grand Prix sein sollte. Erst recht nicht, warum der liebe Gott plötzlich als Garant des Echten auftaucht. Alle Lücken in seiner Argumentation stopft Lütz mit seinem netten Jargon der Eigentlichkeit und Dönekes wie dem, dass einmal Richard Dawkins, der atheistische Eiferer, eine zugesagte Diskussion mit ihm platzen ließ. Lütz ist beleidigt und fühlt sich fast verfolgt wie die spanische Inquisition. Die habe ihren schlimmen Ruf nämlich von politisch motivierten Geschichtsfälschungen. Einen großen Teil des Buches widmet er dem interessanten Versuch, die historisch besonders der katholischen Kirche angelagerten Vorurteile etwas aufzuräumen. Das fällt zu kurz aus, um zu überzeugen, und hinterlegt die eher kursorischen Täuschungs-Vorwürfe der ersten Kapitel mit dem unangenehmen Geruch einer Weltverschwörung, die uns arme Menschlein immerzu vom Wesentlichen abhält, bis wir nackt und tot am Grab unseres neuen Autos stehen. Dabei dürfte der größte Bluff doch wohl sein, vorzuspiegeln, es gebe da einen Bösen, der uns von dem einen Guten trennt. Wing
Manfred Lütz: Bluff! Die Fälschung der Welt. Droemer, München 2012, 189 S., 16,99
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