TOD & ZWEIFEL

Witwentröster

Doris Dörrie erzählt vom Überleben

Am Ende ist grosses Ramba Zamba, Halloween in Mexiko, und alle westeuropäischen Todes-Üblichkeiten stellen sich auf dem Kopf. Trauer? Tanzen! Weinen? Totenschädel aus Zuckerguss essen! Mit dem Zaunpfahl winken? Warum nicht! Was Doris Dorrie hier in ihren neuen Roman Das blaue Kleid an Witwentröstung veranstaltet, ist hinten so über-symbolisch, dass es schon wieder ironisch wird; und vorne so melancholisch ausgebreitet und so heilig milde über des allfällige Vergehen des Menschen dahingelächelt, dass man sich die derberen Scherze gern auch verfilmt vorstellte. Was schreiben Frauenzeitschriften über die Verwendung von Pfefferminzbonbons an müden Männern?
Aber eigentlich schreibt die Dörrie über zwei tote Männer: Alfred, schwul, Modemacher und Fritz, hetero, verheiratet. Beide starben vor etwa einem Jahr, beide hinterliessen liebende Trauerfälle - und man muss gar nicht wissen, das auch Doris Dörries Mann vor ein paar Jahren starb, um zu bemerken, dass ihre Witze leiser werden und leuchtender. Ein Hang zum Religiösen wird sichtbar, freilich mit den erhobenen Augenbrauen des aufgeklärten Dörrie-Personals, und der feste Wille, die Überlebenden, Florian und Babette, glücklich zu machen. Das klingt nicht nur nach Lore-Roman, das wird auch in der Story als genau so einer ausgeplaudert. Und wieder passiert, was mit Dörries vorletztem Film Erleuchtung garantiert im Kino geschah: die einen finden Story und Erzählungsmittel poetisch platt und albern, die anderen können sich vor feiner Ironie kaum halten. Aber im Buch kann man sich die mehreren unzweifelhaft schön zu Herzen gehenden Stellen über Verlust und Erinnerung ja einzeln merken. Ohne ein endgültiges Urteil.
Ach so: das Kleid. Alfred entwarf es, Florian sucht es für eine Gedächtnis-Modenschau, Babette kaufte es, um über Fritzens Tod weg zu kommen ... und es fallen neben aller Schicksalsverwickeltheit ein paar nette Bemerkungen über Outfits ab (z.B. Wickelkleider nie zu straff ziehen, sonst tragen sie auf).
WING
Doris Dörrie: Das blaue Kleid. Diogenes, Zürich 2002, 180 S., 16.90 EU