EXEGESE

Theologischer Urknall

Das »Lexikon der biblischen Irrtümer« ist vor allem wirr

Dem dummen Publikum wird gerne vorgegaukelt, dass ein "Lexikon" eine ebenso objektive wie vollständige Zusammenfassung zum Thema sei. Wenn was alphabetisch sortiert ist, muß es richtig sein, schon weil es so ordentlich aussieht. Dass oft das Gegenteil richtig ist, haben vor allem die diversen unsäglichen "Lexika" aus dem Eichborn Verlag gezeigt, die immer wieder in die Bestseller-Listen rutschen. Jetzt versucht auch der Langen Müller Verlag mit einem Lexikon der biblischen Irrtümer (nebenbei: was für ein Versprechen!) das ertragreiche Feld zu beackern.
Verfaßt hat es Walter-Jörg Langbein, ein wahrlich seltsamer Fachmann für Verworrenes. Alphabetisch geordnet, ansonsten konsequent unsystematisch werden vor allem innere Widersprüche und Übersetzungsfehler aufgeführt: Es gibt zwei voneinander abweichende Schöpfungsgeschichten, die Auferstehungsgeschichte klingt in jedem Evangelium anders, Jesus wurde nicht mit "Meister", sondern als "Rabbi" angesprochen - alles kalter Kaffee aus der Theologenküche. Dafür wartet Langbein in einer brisanten Argumentation mit der Erkenntnis auf, die Verfasser der Schöpfungsgeschichte hätten von der Expansion des Universums gewußt - das ist nun wahrlich ein theologischer Ur-Knall.
Einerseits setzt Langbein die Existenz Jesu als "historisch gegeben" voraus (wieso eigentlich?), ordnet ihn aber zeitlich nicht ein (wenn überhaupt, wurde Jesus wohl ca. 10 bis 7 v.u.Z. geboren). Er zitiert Josephus als historische Quelle, ohne zu erwähnen, dass auch dessen Schriften als teilweise dubios eingestuft werden. Er glaubt nicht an eine Kreuzigung (er spekuliert auf eine Verbrennung), kann aber die "echten" letzten Worte am Kreuz rekonstruieren. Und dass das Buch Esther eine "mittelalterliche Fälschung" sei, dafür nimmt er sich ausgerechnet den Historien-Flegel Uwe Toppor als Beleg, der Esther "irgendwo im 12. Jahrhundert" ansiedelt, was insofern drollig ist, als Toppor gar nicht daran glaubt, dass es "unser" 12. Jahrhundert überhaupt gegeben hat.
So geht es munter und vollkommen wirr durch "Stellen" in der Bibel. Zur eigentlichen Geschichte des Buches erfahren wir fast nichts, gerade im Neuen Testament ist Langbein kaum zu Hause, er sagt nichts über die Evangelien - immerhin gibt es ja bemerkenswerte Fälschungsabstufungen von Matthäus bis Johannes -, nichts zu den Paulusbriefen, der Bergpredigt.
In einem Nachwort erfahren wir: Die Bibel sei eben nicht Gottes Wort, sondern menschengemacht. Dunnerlittchen! Darüber hätten wir gern mehr erfahren! Und: sie sei ein großartiges Dokument der Nächstenliebe - eine Aussage, die ziemlich überraschend kommt und nirgends im Text belegt wird.
Es steht nicht ausschließlich Quatsch in diesem Lexikon. Aber die wenigen hilfreichen Stellen und Argumentationsstränge (etwa zur anschwellenden systematischen Judenfeindschaft) sind so weit über das Buch verstreut, dass sich die Lektüre kaum lohnt. Wer sich für das Thema interessiert, dem ist etwa mit Robin Lane Fox' Im Anfang war das Wort - Legende und Wahrheit in der Bibel mehr geholfen.
Thomas Friedrich
Walter-Jörg Langbein: Lexikon der biblischen Irrtümer Langen Müller, München 2003, 352 S., 19,90 ISBN: 378442922X