Überliebe Verliebte Nervensäge Ein 39-jähriger Teenager verliebt sich zum ersten Mal Man muss ein bisschen aufpassen, wenn man etwas über den Roman Untitled schreibt. Sehr schnell kann es passieren, dass man als gefühlloser Eisblock dasteht, als jemand, der nicht versteht, was das eigentlich ist, diese Liebe von der im Roman unentwegt gesprochen wird, an der der knapp 40-jährige Ich-Erzähler (Selbstaussage: unkonventionell und Punk, aber nur so vom Gefühl her) leidet. Nach einem Kneipenbesuch lässt sich der aus der Modewelt berichtende Berliner dazu überreden, zu einer Bekannten mitzugehen, um dort weiterzufeiern. Sein Glück, denn vor dem Bücherregal steht er plötzlich vor Julia. Und die ist richtig super: Sie trägt tatsächlich Schnürstiefel von Doc Martens und hat "als erste Frau, der ich begegne, einen exzellenten Musikgeschmack." Die beiden erleben eine stürmische, romantische Nacht mit Knutschen im Badezimmer, schmerzlicher Verabschiedung an der Bushaltestelle ("Ich kannte bislang niemanden, der Bus fährt") und dem darauffolgenden Blues des Hauptcharakters. Denn Julia ist verheiratet und mag ihn zwar sehr, aber ihren Mann möchte sie nicht verlassen. Trotzdem lassen sich die beiden auf eine Beziehung ein, in der nur die Liebe eine Rolle spielt, und die verfolgt den Leser so überzogen auf jeder Seite, dass es weh tut. Ständig muss er weinen, dann sucht er eher unmotiviert die Hilfe bei einer Therapeutin, aber so richtig helfen kann ihm niemand. Mittels digitaler Kommunikationswege bleiben die beiden Protagonisten miteinander verbunden und schicken sich Popsongs, die den exzellenten Musikgeschmack der beiden beweisen sollen. Es ist mitunter nicht auszuhalten, was Joachim Bessing seinen Hauptcharakter durchleben lässt. Goethes Werther erscheint nicht nur angedeutet am Horizont, er wird auch vorsorglich erwähnt, um den Leser auf den richtigen Weg zu lenken. Was aber schon nach kurzer Lektüre stört, sind die ständigen Popreferenzen. Da werden Bands und Songtitel aufgezählt, um Stimmungen zu transportieren oder um einfach nur die iTunes-Liste des Autoren durchzugehen. So wirkt schnell alles fehl am Platz. So wie man natürlich versteht, dass jemand, der verliebt ist, gerne auch mal wieder zum Teenager wird. Aber Teenager haben auch die Angewohnheit, schnell zu nerven, und das schafft der Verliebte hier wie selten ein anderer vor ihm. Sacha Brohm
Joachim Bessing: Untitled. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013,303 S., 19,99
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